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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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trugen mit vielen Neuigkeiten, Berichten und Gerüchten dazu bei, dass die Gegner übereinander mehr erfuhren, als nottat. Das Heer des Atabeq Kerboga, obwohl hoch bewaffnet und begierig, die Franken zu vertreiben, war vom Zerfall durch Uneinigkeit gezeichnet. Seldschukische und arabische Fürsten Syriens waren eifersüchtig aufeinander. Emir Radwan von Aleppo war dem Feldzug ferngeblieben; als Kerboga mit ihm verhandelte, fühlte sich der Emir Duqaq von Damaskus beleidigt. Der Emir von Homs weigerte sich, zusammen mit dem Emir von Menbidsch zu kämpfen. Seldschuken stritten sich mit Arabern; die Fatimiden in Kairo wollten nichts anderes als Jerusalem behalten. Kerbogas Befehle wurden selten befolgt. Die Zahl der Krieger, die das Heer verließen, wurde von Tag zu Tag größer.
    Die Spitze der Heiligen Lanze wurde in Gold gefasst und in Brokat gehüllt. Bohemund trieb seine säumigen und halbverhungerten Vasallen mit Schwert und Feuer aus den Häusern und aus den Betten. Graf Raimunds Krankheit wich nicht, und so würde die Schlacht, die nach Bartholomäus' Prophezeiungen unter der Mitwirkung der auferstandenen Heiligen im Zeichen der Heiligen Lanze stattfinden sollte, unter dem Befehl Bohemunds ausgetragen werden.
    Drei Tage, nachdem die Lanze ausgegraben worden war, schickte Bohemund einen Unterhändler ins Lager Kerbogas. Hierzu wählte man, da man keinen der hohen Fürsten entsenden wollte, auf Anregung von Peter Bartholomäus keinen anderen als den frommen Peter von Amiens. Ihm wurde ein normannischer Sprachenkundiger zur Seite gestellt, der sich gründlich im Lager der Muslime umsehen sollte. Der Vorschlag - oder besser die Forderung - Bohemunds bestand darin, dass Kerbogas Truppen alle christlichen Gebiete verlassen und dass einzelne Kämpfer gegeneinander als Vertreter ihres Heeres antreten sollten. Dem Sieger sollte hinfort Antiochia gehören. Kerboga und Watthab ibn-Mahmud, sein Feldherr, verwiesen auf ihre gewaltige Streitmacht und wollten nichts anderes als die Übergabe ohne Bedingungen. Also beschlossen die Fürsten, am nächsten Tag anzugreifen - die Heilige Lanze stärkte ihren Glauben an den Sieg. Adhemar von Le Puy schickte Kuriere durch die Stadt und befahl allen christlichen Streitern, sich im Morgengrauern in Waffen und Rüstung bereitzuhalten.
 
    Die fränkischen und flämischen Ritter und ihre Gefolgsleute standen hinter den Flaggen Hugos von Vermandois und Roberts von Flandern. Gottfried von Bouillon führte seine Lothringer, die zweite Gruppe. Die Normannen aus der Normandie folgten Herzog Robert, und Bischof Adhemar befehligte die Provençalen und den Heerbann aus Toulouse. Die fünfte und sechste Gruppe, die italischen Normannen, gehorchten Bohemund von Tarent und seinem Neffen Tancred. Nur zweihundert Männer, die Graf Raimund vom Krankenbett aus leitete, bewachten die Mauer der Zitadelle. Jeder Mann, der eine Waffe trug, hatte die zwiefache Gewissheit: Wenn sie verloren, erreichte keiner Jerusalem. Aber sie würden siegen, weil der Bischof von Le Puy die Heilige Reliquie mit sich führte.
    In Schwaden aus Weihrauch gehüllt, von Liedern und Gebeten vieler weiß gekleideter Priester begleitet, drängten die Bewaffneten aus dem Brückentor hervor. Nicht einmal jeder zweite Ritter saß im Sattel eines Reittieres; meist nur auf Eseln oder Maultieren. Mehr als die Hälfte der Kundschafter rannte, sich am Sattel ihrer berittenen Mitstreiter festklammernd, neben den Reitern her.
    Rutgars Rappe hatte die Hungersnot überlebt. Doch seine Truppe hatte die Hälfte ihrer Pferde schlachten, kochen und braten müssen. Seine Männer hatten den Befehl, in der Schlacht - so die Christen siegreich sein würden - möglichst viele Reittiere der gefallenen Muslime einzufangen.
    Von den Mauern schmetterten Trompeten und dröhnten Trommeln. Die Masse der Ritter war groß genug, um bei Kerboga und seinem Heer Furcht und Zweifel hervorzurufen. Er schickte Herolde, durch die er einen Waffenstillstand anbot, aber die Franken wollten nichts davon hören.
    Kerboga versuchte, indem er sich zurückzog, das Heer der Belagerten in ein Gelände zu locken, das ihm im Kampf einen Vorteil geben würde. Aber Bohemund, der während der Belagerung jede Handbreit Land kennengelernt hatte, schickte eine starke Truppe unter Reinhold von Toul auf den linken Flügel. An den Stellen, an denen sich die Heere trafen, wurde mit Wut, Gottvertrauen und letzter Kraft erbittert gekämpft. Und es hieß, dass am Berghang eine Gruppe weißer

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