Jerusalem
zu halten, der wässrig, stinkend und mit Blut vermischt den After verließ. Wenige Tage bis zu einem Mond brauchte es zur Heilung oder zum Sterben. Und so starben viele von uns, viele Syrer und Armenier, die wenigen im Versteck überlebenden Muslime und christliche Pilger; Arme, Reiche, Fromme und Bewaffnete.
Am ersten Tag des Erntemonds starb qualvoll, sich im eigenen Ausfluss wälzend, Bischof Adhemar von Le Puy, der Anführer der bewaffneten Pilgerfahrt, dessen entschlossene Worte und sein besonnenes Handeln ich, Jean-Rutgar aus Les-Baux, seit dem Nachmittag des Konzils zu Clermont Anno Domini 1095, im Windmond, erfahren und zu schätzen gelernt habe. Kein Mann im ganzen Heer ahnt, wie unersetzlich Bischof Adhemar war und wie sehr uns seine fromme Umsicht und seine abgeklärte Weisheit fehlen. Er war der Vertreter des Papstes und der Anführer unseres gewaltigen Zuges. Jeder Mann im Heer trauerte um ihn und gedachte seiner. Selbst Bohemund von Tarent war niedergeschlagen; ich selbst habe ihn weinen gesehen und schluchzen hören.
Aber noch während man beriet, wie man mit Adhemars sterblicher Hülle verfahren sollte, verkündete Peter Bartholomäus neue Visionen und Ratschläge seines heiligen Sankt Andreas. Doch nicht einmal Raimund von Saint-Gilles glaubte dem Finder der Heiligen Lanze; von einer verzweifelten Hoffnung war er inzwischen zur Plage geworden. Aber alle Fürsten fürchteten die Seuche in Antiochia und verließen mit ihrem Gefolge angstvoll die Stadt. An vielen Stellen schaufeln Tafuren Gruben für die Opfer der Seuche, zu denen auch viele aus ihren eigenen Reihen zählen, was ob des Schmutzes, in dem sie leben, nicht verwundert.
Chersala, Thybold und ich erkrankten nicht. Wir leben auf einfache, aber gesunde Weise in der Stadt, ohne Not und mit der gebotenen Vorsicht. Wir lassen unsere Ochsen, Schafe, Ziegen und Pferde auf den Weiden bewachen, denn das Gras, von den Reittieren der Muslime abgefressen, ist wieder nachgewachsen. Wie ich es in manchen Jahren gelernt habe, sind Wachen um unsere Unterkunft aufgestellt. Wir trinken kein Wasser, nur gekochten Sud und Aufguss. Wir reinigen uns so oft wie möglich.
Am 3. Tag des Herbstmonds kam von Sankt Simeon aus eine große, schwer beladene genuesische Händlergruppe durch das Sankt-Georgs-Tor. Seit dem Ende der Belagerung begann sich auch der Handel wieder zu beleben.
Ein Wächter stieß das Hoftor auf und schrie: »Ihr werdet es nicht erraten! Er lebt, er kommt zu uns! Er hat den Weg gefunden!«
»Wer kommt, verdammt? Rede, Mann!«, brüllte Rutgar zurück. Der Wächter rannte auf Rutgar zu, hob den Kopf und die Arme und rief zu den Fensteröffnungen hinauf:
»Unser Anführer! Berenger! Mit vier beladenen fetten Maultieren!«
Die Rufe hallten von den Mauern des Innenhofes wider. Rutgar sprang auf und nahm Chersalas Hand. Sie rannten zum Tor und auf den Vorplatz, wo ein Mann in staubbedeckter Kleidung aus dem Sattel eines Rappen stieg, in dessen bestaubtem Fell schwarze Schweißbahnen troffen. Rutgar erkannte den Freund auf den ersten Blick und breitete die Arme aus.
»Nur einer wagt sich in die verseuchte Stadt. Berenger! Wir haben auf dich gewartet wie auf Regen in der Wüste.«
Andere Wachen rannten zu ihm, begrüßten ihn stürmisch, brachten nasse Tücher und führten die Tiere weg. Berenger wischte Staub und Schweiß aus seinem Gesicht und trocknete es flüchtig. Obwohl Chersala den Freund umarmte, auf beide Wangen küsste und lachend an ihre Brust zog, misslang Berengers Lächeln. Sein Grinsen blieb karg und scheel. Er sandte Rutgar einen Blick zu, dessen Bedeutung Rutgar zu fürchten gelernt hatte; er verhieß Schlimmes.
»Es ist gut, mehr als das, wieder bei euch zu sein«, sagte Berenger und tätschelte Chersalas Wange. »Ich bringe Pfeilspitzen, goldene Münzen und tausend Nachrichten. Was ich auf meinem Weg gesehen und erfahren habe, stimmt mich traurig.« Er hustete und spuckte grauen Schleim in den Kies. »Die Augen Gottes weilen auf weit entfernten Gefilden. Hierher blickt er nur im ungläubigen Staunen.«
Rutgar legte den Arm um Berengers Schulten, presste ihn an sich und sagte leise: »Er hat sich wohl sattgesehen am Schrecken zwischen den Mauern.«
»Die Schrecken Antiochias sind nichts im Vergleich mit den Toten und der Verwüstung außerhalb der Stadt.«
Berenger wirkte ausgeruht, aber sein gebräuntes Gesicht zeigte neue Falten und die Spuren harter Monde. Sein Kinn war glatt geschabt, sein weißes Haar war vor
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