Jerusalem
antwortet, vergeht zu viel Zeit«, sagte Berenger und setzte sich ächzend zurecht. »Man hat geschrieben, dass die Stadt eingenommen und dank der Heiligen Lanze jede Schlacht gewonnen worden sei. Den Tod seines Legaten Adhemar teilten sie ihm mit, und sie waren ausnahmsweise in einer Sache sicher: Sie brauchen wegen ihres dauernden Streits einen neuen Anführer. Der Verlust des Bischofs von Le Puy ist unersetzlich, es sei denn, Urban würde selbst kommen.«
»Schließlich ist das Bistum Antiochia einst von Sankt Peter gegründet worden«, sagte Rutgar. »Aber kein Fürst wird ernsthaft erwarten, dass der Papst hierher oder gar nach Jerusalem kommt.«
»Sie bieten an, auf ihn zu warten und dann erst nach Jerusalem zu ziehen. Den alten Patriarchen Johannes mögen sie nicht, weisen seine Rechte zurück; die einheimischen Christen sind für sie Sektierer und Irrgläubige - ein Wunder, dass sie nicht auch erschlagen worden sind.« Berenger hustete und spuckte ins Gras. »Bis die Antwort oder ein zweiter Adhemar kommt, brauchen sie sich nicht zu entscheiden. Bohemund sieht sich ohnehin als Herrscher Antiochias.«
»Und was gedenken die Fürsten gegen ihre Langeweile und gegen den offensichtlichen Mangel an Lebensmitteln zu tun?«
Berenger lachte in sich hinein. »Gottfried und Raimund wollen zu einem gemeinsamen Feldzug nach Azaz aufbrechen. Dort wittern sie gute Beute und volle Kornsäcke.«
Ratlosigkeit überall, dachte Rutgar. Nur nicht, in Maßen, in Berengers verkleinerter Truppe. Der wahre Anführer, dem sie bedingungslos gehorchten, war Berenger. Ihm, Rutgar, hatten sie gehorcht, weil es ihre Pflicht war und er nichts Unbilliges von ihnen verlangte. Aber Berengers kriegerische und gerechte Art - und den Sold, den er gebracht hatte - brauchten die Männer, um sich als mutige Krieger und listige Kundschafter zu fühlen. Es war gut und richtig so. So fanden Chersala und er mehr Zeit dafür, dass sie sich gegenseitig ihre Träume erzählten und einige goldene Münzen mehr in Gürtel und Lederwams einnähten. Gold für die Burg, für das Haus in Les-Baux.
Mächtige Wolken von leuchtendem Schneeweiß quollen im Westen, sicherlich über der Küste des Meeres, der Sonne entgegen. Aus Süden, von Antiochia her, fuhren feuchte Windstöße über die Ebene und wirbelten Staub von der Straße auf. Der Sommer, so schien es allen, fürchtete sich vor dem Welken der Blätter und des Grases, den kalten Winden und dem Regen des Herbstes. Die feuchte Hitze wich im Herbstmond nicht und machte den Weinmond zur schwitzenden Qual. Der Brodem verwesender Leichen schwelte aus der Erde über den Gräbern der Erschlagenen, Verbrannten und Seuchentoten und entwich nur in den Nächten aus der Stadt, wenn Wind vom Berg den Gestank und den Rauch der Feuerstellen vertrieb. Die Abergläubigen flüsterten, mit dem süßlichen Hauch würden die Seelen der Toten zum Himmel, ins zweite Leben, entweichen, erleichtert darüber, das beschwerliche irdische Leben verlassen zu können. Trotzdem war jeder Bewaffnete froh, aus Antiochia hinausmarschieren oder -reiten zu können.
In den vergangenen Tagen hatten Berenger und Rutgar lange über ihr Leben und die allgemeine Verwirrung geredet, über Flucht, Verantwortung und Träume: Nach dem Fall Jerusalems würden sie, komme, was wolle, den Heimweg antreten. Aber noch banden sie ihre Versprechen an das Heer der christlichen Fürsten; diese hatten beschlossen, sich Lebensmittel zu beschaffen.
Nun waren die Soldaten und bewaffneten Pilger auf dem Weg nach Albara, mehr als dreißig Meilen vor den Mauern Antiochias und jenseits der eroberten Festung Rugia. Selbst abseits der Straßen lastete ein brüchiger Halbfriede, oftmals von kurzen, hitzigen Kämpfen unterbrochen, über dem Land. Da war keine Klarheit; jeder Pilger, ärmlich oder zu Ross, gläubig oder beutegieriger Soldat, sehnte sich nach Klarheit und Führung.
Thybold, Berenger und Rutgar ritten nebeneinander weit vor dem Heer; ihre Blicke suchten nach einem Hinterhalt oder muslimischen Reitern.
Rutgar hatte Chersala in Antiochia zurückgelassen, von einigen seiner zuverlässigen Kundschafter bewacht. Der Ritt nach Südost sollte nur wenige Tage dauern und gute Beute bringen; in der Stadt lebten nur reiche Muslime. Ohne Hast bewegte sich das kleine Heer unter der sengenden Sonne auf Albara zu; Kundschafter auf schnellen Pferden, gepanzerte Ritter und Bewaffnete zu Fuß, schließlich die Saumtiere und Karren des Trosses.
»Ich glaube nicht«,
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