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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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düstere Licht getaucht. Trotz des flüssigen Feuers und der verdoppelten Kraft der Verteidiger gelang es um Mittag, die Brücke fallen zu lassen. Die Ritter Litold und Gilbert von Tournai, zwei Flamen, kämpften sich an der Spitze der kühnsten Lothringer über die Brücke zur Mauer und trieben die Verteidiger zurück. Gottfried folgte mit einer eigenen Schar. Die Ritter kämpften sich nach rechts und links den Weg frei, bis zu den Turmplattformen, und als nur noch Christen auf der Mauerkrone zu sehen waren, legten die Belagerer eine Sturmleiter nach der anderen an, kletterten hinauf und drangen in die Stadt ein.
    Gottfried ließ seine Fahne auf der Mauer aufpflanzen, schwenkte sein Schwert und schrie den Männern zu, sie sollten hinunterklettern und von innen die Tore öffnen. Von den Leitern und über die Fallbrücke strömten entschlossene Ritter in langen Reihen unter dem kreischenden, besinnungslosen Jubel der Belagerer zur Mauer hinauf - Herzog Robert von der Normandie und der Graf Robert von Flandern mit ihren Rotten. Die Rufe »Deus lo vult!« waren lauter als die Trommelschläge und die Trompeten. Tancred und seine Normannen waren unter den ersten Eindringlingen. Die Muslime wurden zurückgeschlagen und flüchteten zum Tempelplatz Haram es-Scherif, zum Felsendom und zur Al-Aqsa-Moschee, den die Muslime »Ort der Niederwerfung« nannten. Einfache Bewohner schlossen sich den bewaffneten Verteidigern an. Tancreds Normannen waren ihnen dicht auf den Fersen, und noch ehe sie versuchen konnten, die Moschee in den Verteidigungszustand zu versetzen, griff Tancred sie an. Durch das geöffnete Sankt-Stephanus-Tor kamen Ritter zu Pferde und galoppierten durch die Gassen. Den Rittern folgten Fußkämpfer und Pilger. Bei dem Versuch, zugleich mit den Reitern durch das schmale Tor in die Stadt einzudringen, wurden eineinhalb Dutzend Pilger im Gedränge niedergetreten und von Pferdehufen erschlagen.
    Im Süden hatte Raimund seinen Belagerungsturm an die Mauer heranschieben lassen. Das große Katapult, das die Provençalen gebaut hatten, hatte mit jedem Schuss drei große Steine in die Stadt und gegen die Mauern geschleudert. Die Felsbrocken richteten gewaltige Verwüstungen an und erschreckten die Muslime zu Tode. Daraufhin verfielen sie auf den Gedanken, den abergläubigen Christen mit Zauberei große Schrecken einzujagen, und stellten zwei ihrer Frauen auf die Mauer, die zusammen mit drei jungen Mädchen den Christen beschwörende Worte entgegenschleuderten. Einer der nächsten Schüsse traf die Mauerkrone an dieser Stelle, zerschlug sie in zahlreiche Trümmer und tötete die fünf Frauen.
    Weil der Turm, den Raimund von Toulouse befehligte, trotz aller Versuche, die Brände zu löschen, zu verbrennen begann, gelang es Raimunds Schar nicht, die Mauern zu erstürmen und das Tor zu öffnen. Aber der Wind trieb die schwarzen Rauchwolken des Brandes gegen die Mauern, sodass die Verteidiger nichts mehr sahen und von dem giftigen Qualm von der Mauerkrone getrieben wurden. Einige Muslime, die vom Kampf innerhalb der Stadt gehört hatten, kletterten außen an der Mauer hinunter und wurden gefangen genommen oder erschlagen. Der Belagerungsturm verbrannte vollständig.
    Raimunds bewaffnete Haufen eilten zu der achteckigen Festung des Davidsturms. Dorthin hatten sich viermal hundert muslimische Reiterkrieger geflüchtet. Sie ließen ihre Pferde vor den Mauern stehen und verrammelten die Tore. General Iftikhar selbst, der diesen Mauerabschnitt verteidigt hatte, war mit seiner Garde in den Davidsturm geflüchtet und schickte Boten zu Raimund, um zu verhandeln; sie trafen auf Raimunds Boten, die dasselbe anboten.
    Zuerst verlangte Raimund, das Jaffator zu öffnen, und bot an, die Besatzung des Davidsturms zu schonen. Iftikhar sah keinen anderen Weg und glaubte dem Wort des Franken. Viele Hunderte Südfranzosen drangen in die Stadt ein und trafen vor den Mauern des Davidsturms mit den mordenden und plündernden Normannen und Lothringern zusammen.
    Raimund von Toulouse und Iftikhar begannen zu verhandeln; Raimund fürchtete um seinen Anteil an der unermesslichen Beute der Heiligen Stadt. Er forderte von Iftikhar den gesamten Besitz aller Muslime, die sich in der Festung zusammendrängten. Stundenlang dauerten die Verhandlungen. Raimund schwor, freien Abzug aus der Festung zu sichern, auf dass sich die Überlebenden nach Askalon retten konnten. Erst am Abend öffneten sich die Tore, und die Muslime verließen den Davidsturm und die

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