Jessica
könnte. Er hatte beobachtet, wie sie heute Morgen die Straße entlang zur Postkutschenstation gegangen war, und später hatte er sie mit der Kuh im Schlepp zurückkommen sehen. Es hatte ihm Spaß gemacht, ihre fruchtlosen Melkversuche zu beobachten, aber am Ende hatten ihn sein Anstand und die Tatsache, dass er die Kinder bis über die Straße vor Hunger hatte schreien hören, bewogen, hinauszugehen und ihr zu helfen. »Meinst du, dass sie vom Zeitungmachen mehr versteht als vom Kühe melken ?«
Jacob führte Tilly in den Stall, wo es angenehm nach Ti eren und warmem Heu duftete, und band sie in einem Verschlag an, wo Futter und frisches Wasser auf sie wartete . Wie üblich ließ er sich mit seiner Antwort viel Zeit. »So viel wie du sicher«, bemerkte er schließlich t r ocken. Ein kleines Funkeln erhellte seinen ernsten Blick.
Gage nahm den Hut ab und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Es machte keinen Sinn zu erwähnen, dass er in einem Zeitungsverlag groß geworden war; wozu hätte das schon gedient? »Möglich«, gestand er zu, aber seine Stimme klang scharf »nur eines vergisst du dabei: Sie ist eine Frau.«
Jacob stieß einen leisen Pfiff aus, ging zur Tür und suchte dabei nach Tabak und seiner Pfeife. Junebug ließ nicht zu, dass er sie in der Station rauchte, denn sie hielt Rauchen für eine ungesunde und verachtungswürdige Gewohnheit.
»Wenn ich du wäre«, meinte Jacob, »würde ich mich mit solchen Äußerungen zurückhalten! Wir haben einige Frauen mit Köpfchen hier in der Gegend - mir fallen auf Anhieb fünf oder sechs ein die dich bei lebendigem Leibe häuten und an die Scheunentür nageln würde, wenn sie so eine Bemerkung hören würden.«
Gage ließ die Bemerkung durchgehen, ohne etwas darauf zu erwidern; es war ja auch wahr. In Springwater gab es in der Tat eine ganze Reihe von Frauen, die wussten, was sie wollten. Und soweit er es beurteilen konnte, passte Jessica Barnes gut zu ihnen. Er fragte sich müßig, weicher Mann wohl das Glück und das schwere Los haben würde, sie einzufangen — wahrscheinlich irgendein Farmer, der sie bald so weit hatte, dass sie selber die Kühe molk.
Aus irgendeinem Grund missfiel ihm die Vorstellung. Manche Frauen waren nicht für diese Art Auf f a ll en gemacht, und di e prüde, steife Miss Barnes geh örte sicher dazu.
»Wirst du es ihr erzählen?«, bohrte Jacob und zog an seiner Pfeife. Eine Rauchwolke hüllte seinen Kopf vollständig ein.
Gage merkte, dass er ein wenig ungeduldig zu werden begann, trotz der guten Laune, in der er vorhin noch gewesen war. »Was erzählen?«, fragte er, obwohl er die Antwort ganz genau kannte. Michael Barnes hatte ihm Geld geschuldet - sogar einen beträchtlichen Betrag und er hatte die Zeitung als Sicherheit gegeben. Gages Angebot, die Zeitung zu kaufen, war ein Akt der Nächstenliebe gewesen, denn er hätte sie genauso gut einforde rn können, und das Recht war auf seiner Seite. Aber nach einem Blick in Jessica Barnes’ Augen hatte er das irgendwie nicht sagen können.
Jacob zuckte die breiten Achseln, und Schneeflocken glitzerten wie kleine Federn in seinem Haar. »Es ist dein Geld«, sagte er nur und ging paffend in Richtung Station.
Verstimmt kehrte Gage in sein Büro zurück. Er teilte sich den kalten und zugekramten Raum mit C. W. Brody, dem Mann von der Eisenbahngesellschaft:, der in der Wohnung darüber wohnte. C. W. war mit Ende vierzig schon Witwer und saß gerade am Telegrafenschalter, als Gage eintrat und seinen Hut zum zweiten Mal an diesem Morgen hinter die Tür hängte. Den Mantel behielt er allerdings an und ging als Erstes zum Ofen, um ein paar Holzstücke hineinzuschieben. Dann rieb er die Hände aneinander, um wieder Gefühl hineinzubringen, und dabei fragte er sich, ob Jessica, Alma und die beiden Babys es wohl warm genug hatten.
Landry, Jacob und Trey Hargreaves hatten ein paar Körbe voller Pinienholz hinübergebracht, als Michael krank geworden war. Aber das Zersägen und Hacken hatten sie für später aufgehoben, weil sie selber zu viel zu tun hatten, und am Ende hatten sie es nicht geschafft.
C. W. hörte auf zu morsen und räusperte sich.
»Und ich habe gedacht, dass du nur ein verwöhnter Stadtjunge bist«, sagte er amüsiert. »Aber da kannst du tatsächlich eine Kuh melken und bist dir nicht zu fein, das auch zu zeigen.«
Gage biss die Zä h ne zusammen und warf einen Blick auf die große Holzuhr am anderen Ende des Zimmers. In fünfzehn Minuten erwartete er seine ersten
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