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Jessica

Jessica

Titel: Jessica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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sinken ließ und den Eimer vorsichtig unter den geschwollenen Euter der Kuh stellte, merkte sie, dass sich in z wischen Zuschauer eingefunden hatten - frühe Gäste aus dem Saloon.
    Vorsichtig streckte sie die Hand aus, ergriff eine schrumpelige Zitze und ließ sie sofort wieder los. Das löste wildes Gelächter bei den Zuschauern aus.
    Jessica erhob sich, stemmte die Hände in die Hüften und sah die Männer über den zitternden Rücken der Kuh hinweg wütend an. »Wenn ein Gentleman unter Ihnen wäre, würde er mir seine Hilfe anbieten«, sagte sie.
    »Wir züchten Kühe, Ma’am«, rief einer der Männer zurück, »aber wir melken sie nicht.« Wieder erklang Gelächter, als hätte der Mann etwas furchtbar Komisches gesagt.
    »Idioten«, murmelte Jessica.
    Da öffnete sich die Tür des Telegrafenamtes hinter der kleinen Menge, und Mr. Cal l oway bahnte sich gutmütig einen Weg. Er war höchst auffällig gekleidet, wenn man in Betracht zog, dass es früh am Morgen in einer kleinen Grenzstadt war; und er grinste Jessica an, als wolle er noch einmal neu anfangen. Grüßend berührte er seinen Hut und überquerte die Straße, um sie über den breiten Rücken der Milchkuh der McCaffreys hinweg zu mustern. »Gestatten Sie mir, Ma’am«, sagte er und kam um die Kuh herum, um Jessicas Platz einzunehmen.
    »Danke«, erwiderte Jessica steif. Sie wusste nicht, was sie von Mr. Calloway und seiner zugegeben liebenswürdigen Geste halten sollte. Nicht nach all dem, was Michael ihr über ihn geschrieben hatte - sowohl in seinen Briefen als auch in der Gazette. Es geschah nicht oft, dass Jessica ihre Meinung revidierte, wenn sie sie einmal gefasst hatte, aber im Falle dieses Mannes war eine Ausnahme vielleicht angebracht — wie zeitlich begrenzt sie auch sein mochte.
    Geräuschvoll zischte die Milch jetzt in den Eimer, warm und dampfend, und Jessica hätte am liebsten vor Erleichterung geweint. Aber sie schniefte nur einmal und beobachtete genau, wie er die Kuh molk, um es später selber zu können. Die Cowboys, die jetzt gelangweilt waren, bestiegen ihre Pferde und ritten davon, wobei sie das makellose Weiß der Schneedecke zertrampelten.
    Rundum erwachte die Stadt allmählich zum Leben. Der Laden wurde geöffnet, und die Glocke in dem kleinen Ziegelschu lh aus, das laut Michael die neueste Errungenschaft der Stadt war, begann zu läuten. Ein Wagen fuhr vorbei, gelenkt von einem Mann mit hochgestelltem Kragen. Trotz der Kälte lächelte der Mann, und auch die Frau an seiner Seite lächelte und winkte, als der Wagen vorüberrollte und langsam zum Stehen kam. Zwei große, schlaksige Jungs mit roten Haaren sprangen heraus und begannen, einander mit Schneebällen zu bewerfen.
    »Morgen, Gage!«, rief der Mann. Er schien nicht besonders überrascht darüber zu sein, dass sein Freund so früh am Morgen auf der Hauptstraße eine Kuh molk.
    »Landry«, erwiderte Gage den Gruß, während der Mann abstieg und einem kleineren Jungen vom Wagen half, der bisher hinter den Erwachsenen verborgen gewesen war. Er war ein pausbäckiges kleines Bündel mit roten Wangen und lockigen Haaren, die unter seiner Mütze hervorquollen. »Hallo, Miranda. Bist du das, J esaiah? Himmel, bist du groß geworden, ich hätte dien ja kaum wiedererkannt.«
    Das Kind strahlte Gage bei dieser Bemerkung an. Jesaiah!, dachte Jessica. Was für ein gewaltiger Name für so einen kleinen Jungen.
    Die Frau winkte Gage grüßend zu, sah dabei jedoch Jessica mit unverhohlener, aber durchaus freundlicher Neugier an. Miranda. Hatte Junebug sie nicht erwähnt, als sie heute Morgen wegen der Milch bei ihr gewesen war?
    Innerlich noch immer über den Tod ihres Bruders erschüttert, aber auch entschlossen, ihren Kummer nicht zu einem öffen tl ichen Schauspiel zu machen, r aff te Jessica den Rest ihrer Haltung zusammen und erwiderte den Blick der Frau mit einem Winken.
    Mirandas Mann hob Jesaiah mit einem übertriebenen Stöhnen auf seine Schultern und ging mit ihm auf das Schulgebäude zu, wobei er fröhlich vor sich hin p fiff Miranda wandte sich zur Seite, und Jessica entdeckte, dass sie nicht nur ein Bündel im Schoß hielt, in das wohl ein Baby gewickelt war, sondern darüber hinaus hochschwanger war.
    Plötzlich kam in J essic a ein Gefühl auf, das sie erstaunt als Neid erkannte. Warum, konnte sie sich nicht erklären - sie hatte selber zwei Babys, die sie großziehen musste, wenn auch ohne die Hilfe eines Ehemannes, und noch mehr Verantwortung konnte sie nicht brauchen.

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