Jessica
andere Probleme.
Eine halbe Stunde später war sie allein im Büro der Gazette, weil sie auf Comucopia gehört hatte, die die Babys Heber in der Wärme des Ladens hatte behalten wollen. Plötz li ch stand Gage im Raum.
Jessica hielt den Atem an, halb weil sie fürchtete, er würde sie auf der Stelle vor einen Priester zerren, und halb weil sie fürchtete, dass er das nicht tun würde.
»Ich habe ein paar Neuigkeiten für dich«, sagte er. »Es kam vor ein paar Minuten über das Telegrafenamt herein. Ein Zug wird vermisst, einer, der in einer Entfernung von zwanzig Meilen an Springwater vorbeifährt. Er hätte gestern in Missoula ankommen sollen, ist aber bis jetzt noch nicht dort eingetroffen.«
Jessica war entsetzt und vergaß alle eigenen Sorgen. »Haben sie eine Suchmannschaft losgeschickt?«
Gage nickte, sah aber grimmig drein. »Ohne Erfolg. Ein paar von uns wollen d ie Gleise abreiten, nur für al le Fälle.«
Jessica sah zur offenen Tür und merkte jetzt erst, dass sie fror. Rasch durchquerte sie den Raum und schloss die Tür. Der vorher so hübsche Schnee fiel jetzt fein und dicht, sodass kaum etwas zu erkennen war. »Ist das nicht gefähr li ch - jetzt bei dem Wetter hinauszureiten? Comucopia hat mir gesagt, dass es einen Schneesturm geben soll.«
Gage schüttelte den Kopf. »Aber Jessica!«, sagte er freundlich. »Das ist ein ganz normaler Wintertag da draußen. Bei einem echten Schneesturm würde niemand losreiten.«
Michael hatte ihr in seinen Briefen beschrieben, wie Männer und Vieh b ei solchen Stürmen auf den Ran chen erfroren und Hütten durch den Schornstein mit Schnee zugeschüttet wurden. Jessica trat näher an den Ofen und versuchte, nicht darüber nachzudenken - was so wenig wirkte wie immer.
»Danke«, sagte sie, »für die Nachricht, meine ich. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich a uf dem Laufenden halten würden.«
Er nickte, bereits auf dem Weg zur Tür. Mit der Hand auf der Klinke b li eb er stehen.
»Jessica?«
»Ja?«
»Versuche, das Haus nicht abzubrennen, während wir weg sind. Wenn ein Haus abbrennt, kann die ganze Stadt angezündet werden, und dann haben wir genauso viele Sorgen wie die armen Leute in dem vermissten Zug.« Damit war er weg, ohne dass Jessica eine Chance gehabt hätte, etwas zu erwidern. Was auch gut war, dachte sie. Wenn nicht die Gefahr für Suchmannschaft und Reisende bestanden hätte, wäre sie jetzt erleichtert gewesen. Anscheinend hatte er vergessen, dass sie heiraten wollten.
Das war eine Gnade, jawohl. Aber warum war sie dann nicht erleichtert?
Wenn Mr. Calloways Besuch keinen anderen Grund gehabt hatte, so gab er ihr jetzt wenigstens etwas zu tun. Nach dem Abwasch zog Jessica sich ihren Mantel an und ging in die Kälte hinaus. Die Luft war so scharf, dass sie ihr den Atem verschlug, und es schneite noch immer heftig.
Eine Gruppe vermummter Männer versammelte sich an der Springwater Station, und obwohl alle Hüte, Capes und Schals trugen, erkannte Jessica Gage sofort. Er schien sich von den anderen abzuheben, als wäre er größer als sie.
Jessica stemmte sich gegen den Wind und lief weiter, bis sie das Telegrafenamt erreicht hatte. Sie wollte direkt mit dem Funker über den Zug sprechen. Sie hatte vielleicht keine Ahnung vom Drucken, aber sie wusste, dass sich ein Journalist nicht aufs Hörensagen verlassen durfte.
Der Funker war ein netter Mann mit riesigen Ohren und einer Brille, die ihm weit vorne auf der Nase saß, und sein Haar stand ihm in Büscheln vom Kopf ab. Er beeilte sich, Jessica zu begrüßen.
»C. W. Brody«, stellte er sich vor. »Und sie müssen Michaels Schwester sein.«
»Miss Jessica Barnes«, bestätigte sie höflich, aber geschäftlich. Wenn sie als Journalistin ernst genommen werden wollte - auch wenn ihre Karriere vielleicht nur kurz war musste sie professionell auftreten. »Ich wollte ein paar Fragen nach dem Verbleib des Zuges stellen.«
»Oh, wir haben wenig Chancen, dass vor Ende des Jahrhunderts einer durch unser kleines Springwater fährt«, erwiderte Mr. Brody. Ob er sie absichtlich missverstand? »Aber in einiger Entfernung fährt einer vorbei.« Er sah Jessicas windgerötetes Gesicht. »Kommen Sie doch ans Feuer. Sie sehen aus, als würden Ihnen vor Kälte gleich die Arme abfallen.«
Jessica war ein wenig verstört von seiner Bemerkung, erholt sich aber schnell wieder. Kein Wunder, dass sie verfroren aussah, ihr war ja auch kalt. Sie setzte sich an den Ofen und öffnete den Mantel. Dann holte sie
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