Jesus von Nazaret
habt ihr mir getan«, sagt er an anderer Stelle. (Mt 25,40)
Auf dem Höhepunkt seiner Rede spricht Jesus Forderungen aus, die alles auf den Kopf stellen, was seine Zuhörer bisher geglaubt und gedacht haben. Jesus weià das und formuliert die Gegensätze in aller Schärfe. Bisher sei gesagt worden: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Er aber fordert die Menschen nun dazu auf, dem Bösen keinen Widerstand zu leisten und auch die rechte Wange hinzuhalten, wenn jemand auf die linke geschlagen worden ist.
Und damit nicht genug. Es sei einfach, so meint er, nur diejenigen gernzuhaben, die einen auch mögen. Und es sei nichts Besonderes, nur seine Freunde zu grüÃen. Jesus aber verlangt mehr: »Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.« (Mt 5,43-44)
Sind das die Träumereien eines weltfremden Idealisten? Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal geäuÃert, dass man mit der Bergpredigt keine Politik machen könne. Jesus hätte ihm recht gegeben. Denn die Forderungen der Bergpredigt können höchstens eine moralische Richtschnur in der Politik abgeben. In erster Linie richten sie sich jedoch an den Einzelnen. Seine innere Umkehr ist unbedingte Voraussetzung. Erst wenn diese erfüllt ist, kann sich daraus ein richtiges Handeln ergeben, das dann natürlich auch politische Folgen haben kann.
Wenn diese Voraussetzung übersprungen wird, wenn also die Bergpredigt zu einer allgemeinen ethischen Forderung oder zu einem politischen Programm gemacht wird, dann besteht die Gefahr, dass sie zu einer politischen Utopie wird, die man mit Gewalt durchsetzen will. Das aber würde heiÃen, sie ins Gegenteil zu verkehren.
Die Feinde, das sind immer Feindbilder, die nur dann entstehen können, wenn wir uns nicht mehr die Mühe machen, einen Menschen und seine Geschichte kennenzulernen.An die Stelle einer konkreten Begegnung tritt ein Bild, in das wir unsere eigenen Ãngste und Vorurteile hineinprojizieren. Das ist ein Prozess einer langsamen Entmenschlichung, und im äuÃersten Fall fällt es dann leicht, auf ein entmenschlichtes Bild zu schieÃen oder damit einverstanden zu sein, dass es ausgemerzt wird. Innere Umkehr bedeutet auch, Bilder wieder durch Menschen zu ersetzen, Ãngste durch Vertrauen, Vorurteile durch Erfahrung. Wie das geschehen kann, das hat Hermann Hesse einmal in einem seiner Bücher an einem Mann vorgeführt, den man als sein Alter Ego betrachten kann. 84
Dieser Mann ist auf Kur in einem Hotel. Aber sein Aufenthalt wird ihm durch einen Gast im Nebenzimmer zur Hölle gemacht. Dieser Gast, ein Holländer, ist nämlich sehr laut. Man hört ihn durch die Wand reden, lachen, gurgeln und husten. Der Kurgast, ein ruhiger und lärmempfindlicher Mensch, beginnt den Holländer langsam zu hassen. Als er ihn auf dem Hotelflur kurz sieht, ärgert er sich auch über dessen affige Weste, sein glattes, selbstzufriedenes Gesicht und über seine scheinbar so unverwüstliche gute Laune. Der Holländer wird zum Inbegriff jener oberflächlichen Touristen, die rücksichtslos ihr Vergnügen suchen und die der Kurgast noch nie ausstehen konnte. Jetzt fällt ihm auch wieder ein, dass es die Holländer waren, die ihre Kolonien bis aufs Blut ausgebeutet haben. Das verstärkt noch seine Abneigunggegen den Zimmernachbarn. Und als der Kurgast wieder nicht schlafen kann, weil der Holländer nebenan wieder laut lacht und hustet, steigert sich seine Abneigung in blinden Hass, sodass er den Störenfried am liebsten auslöschen, totschieÃen möchte.
Der Kurgast begreift es als ein kleines Wunder, dass er in einem plötzlichen Moment aus seinen Hassfantasien aufwacht wie aus einem bösen Traum. Denn wenn er es recht überlegt, sind seine Vorwürfe gegen den Holländer eigentlich völlig unsinnig. Und er beschlieÃt, seinen »wertlosen Hass« abzubauen und seinen Zimmernachbarn, den Holländer, zu »verwandeln«. »Was ich zu tun hatte«, so heiÃt es, »war lediglich die Erfüllung jenes wunderbaren Wortes âºLiebet eure Feindeâ¹. Ich war längst gewohnt, alle diese so merkwürdig zwingenden Worte des Neuen Testamentes nicht bloà moralisch zu nehmen, nicht als Befehle, sondern als freundliche Andeutungen eines wahrhaft Weisen, der
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