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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
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erlebt, das Ihre Ganzheit wiederhergestellt hat, etwas in Ihnen ist heil geworden. Wahre Kunst, Literatur wie Musik, macht den Menschen heil, sie heilt ihn.« 83
    Mit seinen Worten wollte Jesus auch heilend wirken. Anscheinend ist ihm das nur selten gelungen. Enttäuschend war es für ihn, wenn die Leute ihm nur aus Neugier oder aus einer gewissen Sensationslust zuhörten. Und oft genug riefen seine Worte nur Abwehr und Empörung hervor. Es gab sogar Männer und Frauen, die anfangs begeistert von ihm gewesen waren und nun nur noch den Kopf über ihn schüttelten. »Was er sagt,ist unerträglich«, meinten sie. »Wer kann das anhören?« (Joh 6,60)
    Auch auf seine größte Rede, die sogenannte Bergpredigt, die eigentlich eine Zusammenstellung verschiedener Reden ist, reagierte das Publikum eher skeptisch und betroffen. Jesus soll sie ganz in der Nähe von Kafarnaum, auf einem Hügel oberhalb des Ortes Tabgha gehalten haben. Auf diesem Hügel steht heute eine Kirche und man hat von hier einen wunderbaren Blick auf den See Gennesaret. Stellen wir uns also vor, dass sich auf diesem Hügel wieder eine Schar von Menschen um Jesus versammelt hat. Vielleicht sind ein paar Schriftgelehrte darunter, die man aus Jerusalem hierher geschickt hat, um auszuspionieren, was dieser Wanderprediger verkündet. Der weitaus größte Teil jedoch sind ungebildete Landbewohner. Bauern, Handwerker, Fischer, Tagelöhner – Leute also, die ein kärgliches Dasein führen, die von Krankheiten geplagt und von der Steuerlast der Römer schier erdrückt werden.
    Diese Menschen haben allen Grund, mit ihrer Lage unzufrieden zu sein. Und es wäre nur zu verständlich, wenn sie von Jesus eine Brandrede erwarten: gegen die Verhöhnung ihrer Religion durch die Besatzungsmacht, gegen die Ausbeutung durch römische Großgrundbesitzer, gegen willkürliche Rechtsprechung und brutale Unterdrückung. Und die Aufzählung all dieser Ungerechtigkeiten könnte dann münden in den Aufruf, dass GottesReich nahe sei und man zu den Waffen greifen müsse, um Gottes Ehre zu verteidigen und die Herrschaft der gottlosen Heiden endlich abzuschütteln.
    Wer das erwartet, wird enttäuscht. Denn Jesus beginnt damit, dass er die armen Teufel, die da um ihn sitzen, auch noch zu ihrem traurigen Dasein beglückwünscht. So jedenfalls könnte man es auch übersetzen, wenn er alle »seligpreist« (Mt 5,3-12), die im Grunde genommen immer die Verlierer und Außenseiter sind. Die von der Gesellschaft ausgestoßen sind, die übers Ohr gehauen werden, die gegenüber den Mächtigen immer den Kürzeren ziehen, die mit ihrer friedlichen Haltung unter die Räder geraten, die unter Krankheit und Hoffnungslosigkeit leiden.
    Jesus schürt nicht den Zorn dieser »Armen«, wie er sie nennt. Er verspricht ihnen auch keine bessere Zukunft. Sondern er sagt, dass gerade ihnen Gott besonders nahe ist. Sie sind das »Salz der Erde«, sie sind das »Licht der Welt«. Ihr »Lohn im Himmel« wird groß sein.
    Will Jesus alle diese Zukurzgekommenen nur vertrösten, damit sie sich mit ihrer hoffnungslosen Lage abfinden und nichts dagegen unternehmen? So hat der Philosoph Friedrich Nietzsche die Bergpredigt verstanden und sie als »Sklavenmoral« bezeichnet. In die gleiche Richtung geht auch der Vorwurf von Karl Marx, für den jede Religion »Opium« war, das man dem Volk gibt, damit es nicht aufbegehrt und sich willig ausbeuten lässt. Jesus'Botschaft kann so verstanden werden. Aber damit übersieht man völlig, was Jesus von Anfang an und immer wieder über das »Reich Gottes« und Gottes Gerechtigkeit gesagt hat.
    Wenn nämlich das Samenkorn auf fruchtbarem Boden aufgeht, dann vollzieht sich eine völlige Umkehrung der Werte. Was uns normalerweise als abstoßend, schwach, hilflos, minderwertig erscheint, das ist dann anziehend, gut und wertvoll. Jesus will den »Armen« nicht billigen Trost zusprechen, er versichert ihnen, dass Gott auf ihrer Seite ist. Ja, er geht sogar so weit zu sagen, dass alles, was ihnen widerfährt, ihm angetan wird, und das im Negativen wie im Positiven. Wer einem Hungernden Brot und einem Durstenden Wasser gegeben hat, der hat Gott Brot und Wasser gegeben. Und wer einem Leidenden diese Hilfe verweigert hat, der hat sie Gott verweigert. »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das

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