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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
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für den schwerwiegenden Beschluss.
    Dass Johannes das Amts-Charisma des unwürdigen Amtsinhabers ausdrücklich als entscheidenden Punkt in der Heilsgeschichte anerkennt, entspricht dem von Matthäus überlieferten Jesus-Wort: „Auf dem Lehrstuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles, was sie euch sagen, tut, und haltet es. Nach ihren Werken aber handelt nicht!“ (23,2f). Matthäus wie Johannes haben diese Unterscheidung gewiss auch der Kirche ihrer Zeit ins Gedächtnis rufen wollen, denn auch in ihr gab es den Widerspruch zwischen Amtsautorität und Lebensführung, zwischen dem, „was sie sagen“, und dem, „was sie tun“.
     
    Der Inhalt der „Prophetie“ des Kajaphas ist zunächst durchaus pragmatischer Natur und hat von da aus für ihn eine unmittelbare Einsichtigkeit: Wenn man durch den Tod eines Einzigen (und nur so) das Volk retten kann, ist der Tod dieses Einzigen das geringere Übel und der politisch richtige Weg. Aber was so zunächst bloß pragmatisch klingt und gemeint ist, reicht doch von der „prophetischen“ Eingebung her in eine ganz andere Tiefe. Jesus, der eine, stirbt für das Volk: Das Geheimnis der Stellvertretung leuchtet auf, das der tiefste Inhalt von Jesu Sendung ist.
    Der Gedanke der Stellvertretung durchzieht die ganze Religionsgeschichte. In vielfältigen Formen versucht man, das drohende Unheil vom König, vom Volk, vom eigenen Leben abzuwenden, indem man es auf Stellvertreter überträgt. Böses muss gesühnt, die Gerechtigkeit so wiederhergestellt werden. Aber man lädt die Strafe, das unabwendbare Unglück auf andere ab und sucht so, sich selbst zu befreien. Doch diese Stellvertretung durch Tier- oder auch Menschenopfer bleibt letztlich unglaubhaft. Was da zur Stellvertretung angeboten wird, ist doch nur Ersatz für das Eigene und kann gar nicht die Stelle dessen einnehmen, der so erlöst werden soll. Ersatz ist nicht Stellvertretung, und doch schaut alle Geschichte aus nach dem, der wirklich für uns eintreten kann, der wirklich uns in sich aufzunehmen vermag und uns so ins Heil bringt.
    Im Alten Testament erscheint der Stellvertretungsgedanke ganz zentral, wenn Mose nach dem Götzendienst des Volkes am Sinai zum zürnenden Gott sagt: „Doch jetzt nimm ihre Sünde von ihnen! Wenn nicht, dann streich mich aus dem Buch, das du angelegt hast“ (Ex 32,32). Ihm wird zwar gesagt: „Nur den, der gegen mich gesündigt hat, streiche ich aus meinem Buch“ (32,33), aber Mose bleibt doch irgendwie Stellvertreter, der das Schicksal des Volkes trägt und durch seine Fürbitte immer wieder wendet. Im Deuteronomium ist schließlich das Bild des leidenden Mose gezeichnet, der stellvertretend für Israel leidet und auch stellvertretend für Israel außerhalb des Heiligen Landes sterben muss (vgl. v. Rad I, S.   293). Vollends entfaltet erscheint der Gedanke der Stellvertretung im Bild des leidenden Gottesknechtes in Jes 53, der die Schuld vieler auf sich nimmt und sie so gerecht macht(53,11). Bei Jesaja bleibt diese Gestalt geheimnisvoll; das Lied vom Gottesknecht ist wie ein Ausschauhalten nach dem, der kommen muss. Der eine stirbt für die vielen – dieses prophetische Wort des Hohepriesters Kajaphas fasst die Sehnsucht der Religionsgeschichte der Welt und die großen Glaubenstraditionen Israels zusammen und überträgt sie auf Jesus. Sein ganzes Leben und Sterben ist eingeborgen in dem Wort „für“; es ist – wie vor allem Heinz Schürmann immer wieder betont hat – „Proexistenz“.
     
    Johannes hat dem Wort des Kajaphas, das faktisch einem Todesurteil gleichkam, noch einen Kommentar aus dem Blickfeld des Glaubens der Jünger hinzugefügt. Er betont zunächst – wie schon gesagt   –, dass das Wort vom Sterben für das Volk aus prophetischer Eingebung gekommen sei, und fährt dann fort: „Aber er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die getrennten Kinder Gottes in eins zu sammeln“ (11,52). Dies ist zunächst durchaus jüdische Sprechweise. Sie drückt die Hoffnung aus, die über die Welt hin zerstreuten Israeliten würden in der Zeit des Messias im eigenen Land gesammelt (vgl. Barrett, S.   403).
    Aber im Mund des Evangelisten nimmt das Wort eine neue Bedeutung an. Die Sammlung richtet sich nicht mehr auf ein geographisch bestimmtes Land, sondern auf das Einswerden der Kinder Gottes: Das Stichwort des Hohepriesterlichen Gebets Jesu klingt hier schon an. Die Sammlung zielt auf die Einheit aller Glaubenden und verweist so auf die

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