Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)
Vorbild im Jerusalemer Tempel gekommen (vgl. 2 Kön 16,11 ff; vgl. Kaiser, a. a. O., S. 73). Zu dem Zeitpunkt, auf den sich das von Matthäus angeführte Jesaja-Zitat bezieht, war es noch nicht so weit. Aber es war klar: Wenn Ahas den Vertrag mit dem assyrischen Großkönig abschließen würde, so hieß dies, dass er als Politiker mehr auf die Macht des Königs als auf die Macht Gottes vertraute, die ihm offenbar nicht real genug erschien. So ging es hier zuletzt nicht um ein politisches Problem, sondern um eine Glaubensfrage.
Jesaja sagt dabei dem König, dass er vor den beiden „rauchenden Brennholzstummeln“ Syrien und Israel (Ephraim) keine Angst zu haben brauche und daher auch kein Grund für den Schutzvertrag mit Assur bestehe: Er soll auf den Glauben setzen, nicht auf politisches Kalkül. Ganz ungewöhnlich fordert er Ahas auf, sich ein Zeichen von Gott zu erbitten, aus der Unterwelt oder aus der Höhe. Die Antwort des jüdischen Königs scheint fromm: Erwill Gott nicht versuchen und kein Zeichen fordern (vgl. Jes 7,10–12). Der Prophet, der von Gott her spricht, lässt sich nicht beirren. Er weiß, dass der Verzicht des Königs auf ein Zeichen nicht – wie es scheint – Ausdruck von Glauben ist, sondern im Gegenteil Zeichen dafür, dass er in seiner „Realpolitik“ nicht gestört werden will.
Nunmehr verkündet der Prophet, dass jetzt der Herr selbst ein Zeichen gibt: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben“ (Jes 7,14).
Welches Zeichen wird darin dem Ahas versprochen? Matthäus und mit ihm die ganze christliche Überlieferung sieht darin eine Vorankündigung der Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria – Jesu, der zwar nicht mit Namen Immanuel heißt, aber Immanuel ist, wie die ganze Geschichte der Evangelien darzustellen versucht. Dieser Mensch – so zeigen sie uns – ist selber in Person das Mitsein Gottes mit den Menschen. Er ist wahrer Mensch und zugleich Gott, Gottes wahrer Sohn.
Aber hat Jesaja das angekündigte Zeichen so verstanden? Dagegen wird zunächst zum einen – mit Recht – eingewandt, dass ja ein Zeichen an Ahas angekündigt ist, das ihm jetzt gegeben werden und ihn zum Glauben an den Gott Israels als wahren Herrscher der Welt bewegen soll. So müsste das Zeichen in dem zeitgeschichtlichen Kontext gesucht und gesehen werden, in dem es vom Propheten angekündigt worden ist. Die Exegese hat demgemäß mit großer Akribie und mit allen Möglichkeiten der historischen Gelehrsamkeit nach einer zeitgeschichtlichen Deutung gesucht – und ist gescheitert.
Rudolf Kilian hat in seinem Jesaja-Kommentar kurz die wesentlichen Versuche dieser Art dargestellt. Er zeigt vier hauptsächliche Deutungstypen. Der erste sagt: Mit „Immanuel“ ist der Messias gemeint. Nun hat aber die Idee des Messias erst in der Zeit des Exils und danach ihre volle Entfaltung erreicht. Hier könnte also höchstens ein Vorgriff auf diese Gestalt gefunden werden; eine zeitgeschichtliche Entsprechung dazu ist nicht auszumachen. Die zweite Hypothese nimmt an, der „Gott mit uns“ sei ein Sohn von König Ahas, wohl Hiskija (Ezechias) – eine These, die rundum nicht aufgeht. Die dritte Theorie meint, es handle sich um einen der Söhne des Propheten Jesaja, die beide prophetische Namen tragen ( Schear-Jascub: „Rest-kehrt-um“ und Maher-Schalal-Hasch-Bas: „Eile-Beute-raube-bald“; vgl. Jes 7,3; 8,3), aber auch dieser Versuch geht nicht auf. Eine vierte These plädiert für eine kollektive Interpretation: Immanuel sei das neue Israel, und die ‘almāh („Jungfrau“) sei „nichts anderes als die symbolische Zionsgestalt“. Aber der Kontext des Propheten weist durch nichts auf eine solche Auffassung hin, zumal auch dies kein zeitgenössisches Zeichen sein könnte. Kilian schließt seine Analyse der verschiedenen Auslegungstypen so ab: „Als Ergebnis dieses Überblickes stellt sich somit heraus, dass kein einziger Interpretationsversuch wirklich zu überzeugen vermag. Um Mutter und Kind bleibt ein Geheimnis, zumindest für den heutigen Leser, aber ziemlich sicher auch für den damaligen Hörer, vielleicht sogar für den Propheten selbst“ (a. a. O., S. 62).
Was sollen wir also sagen? Das Wort von der Jungfrau, die den Immanuel gebiert, ist ähnlich wie das große Gottesknechtslied in Jes 53 ein wartendes Wort. Es findet inseinem geschichtlichen Kontext keine Entsprechung. So bleibt es eine offene
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