Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)
machten. Sie mochten Sternkundige sein; aber nicht alle, die die Konjunktion der Planeten berechnen konnten und sie sahen, dachten dabei an einen König in Judäa, der auch für sie von Bedeutung war. Damit der Stern zur Botschaft werden konnte, muss eine Verheißungin der Art der Botschaft des Bileam im Umlauf gewesen sein. Von Tacitus und Sueton wissen wir, dass in jener Zeit Erwartungen umgingen, aus Juda werde der Herr der Welt hervorgehen – eine Erwartung, die Flavius Josephus auf Vespasian hin deutete und von diesem daraufhin Gunsterweise erlangte (vgl. De bello Jud. III 399–408).
Vielfältige Faktoren konnten zusammenwirken, um in der Sprache des Sterns eine Botschaft der Hoffnung vernehmen zu lassen. Aber all dies konnte Menschen nur auf den Weg bringen, wenn sie Menschen der inneren Unruhe, Menschen der Hoffnung waren, die nach dem eigentlichen Stern des Heils Ausschau hielten. Die Männer, von denen Matthäus spricht, waren nicht nur Sterndeuter. Sie waren „Weise“. Sie stehen für die innere Dynamik der Selbstüberschreitung der Religionen, die eine Suche nach Wahrheit, Suche nach dem wahren Gott und so zugleich Philosophie im ursprünglichen Sinn des Wortes ist. So heilt die Weisheit auch die Botschaft der „Wissenschaft“: Die Rationalität dieser Botschaft blieb nicht im bloßen Wissen stehen, sondern suchte das Verstehen des Ganzen und brachte die Vernunft so zu ihren höchsten Möglichkeiten.
Von all dem Gesagten her können wir eine gewisse Vorstellung davon gewinnen, welche Anschauungen und Erkenntnisse diese Männer dazu geführt haben, sich auf den Weg zum neugeborenen „König der Juden“ zu machen. Wir dürfen mit Recht sagen, dass sie das Zugehen der Religionen auf Christus wie auch die Selbstüberschreitung der Wissenschaft auf ihn hin darstellen. Sie stehen irgendwie im Gefolge Abrahams, der auf den Ruf Gottes hin auszieht. Sie stehen auf andere Weise im Gefolge des Sokrates und seines Fragens über die vorgegebene Religionhinaus nach der größeren Wahrheit. In diesem Sinn sind diese Gestalten Vorläufer, Wegbereiter, Wahrheitssucher, die alle Zeiten angehen.
Wie die kirchliche Tradition die Weihnachtsgeschichte ganz selbstverständlich mit Jes 1,3 gelesen hat und so Ochs und Esel an die Krippe gekommen sind, so hat sie auch die Magiergeschichte mit Ps 72,10 und Jes 60 zusammen gelesen. So sind die Weisen aus dem Morgenland zu Königen geworden, und mit ihnen sind die Kamele und Dromedare in die Krippe eingekehrt.
Wenn die Verheißung dieser Texte die Herkunft dieser Männer bis in den äußersten Westen (Tarschisch = Tartessos in Spanien) ausweitet, so hat die Überlieferung die damit angekündigte Universalität der Reiche dieser Herrscher weiter ausgebaut und sie als Könige der drei damals bekannten Kontinente interpretiert: Afrika, Asien, Europa. Der schwarze König gehört fest dazu: Im Reich Jesu Christi gibt es keinen Unterschied der Rassen und der Herkünfte. Die Menschheit ist in ihm und durch ihn vereint, ohne den Reichtum der Verschiedenheit zu verlieren.
Später hat man den drei Königen auch die Lebensalter der Menschen – Jugend, Reife und Alter – zugeordnet. Auch dies ist eine sinnvolle Idee, die zeigt, dass die verschiedenen Gestalten des menschlichen Lebens in der Gemeinschaft mit Jesus ihre je eigene Bedeutung und ihre innere Einheit finden.
Der entscheidende Gedanke bleibt: Die Weisen aus dem Osten sind ein Anfang. Sie stehen für den Aufbruch der Menschheit auf Christus hin. Sie eröffnen eine Prozession, die durch die ganze Geschichte hindurchzieht. Sie stehen nicht nur für die Menschen, die zu Christus gefundenhaben. Sie stehen für die innere Erwartung des menschlichen Geistes, für die Bewegung der Religionen und der menschlichen Vernunft auf Christus zu.
Der Stern
A ber nun müssen wir noch einmal auf den Stern zurückkommen, der die Weisen nach dem Bericht des heiligen Matthäus auf den Weg gebracht hat. Was war das für ein Stern? Gab es ihn überhaupt?
Namhafte Exegeten wie zum Beispiel Rudolf Pesch sind der Meinung, dass dies keine sinnvolle Frage sei. Es handle sich um eine theologische Erzählung, die man nicht mit Astronomie vermengen dürfe. Eine ähnliche Position hatte in der Alten Kirche der heilige Johannes Chrysostomus entwickelt: „Dass nämlich dies kein gewöhnlicher Stern war, ja, wie mir scheint, überhaupt kein Stern, sondern eine unsichtbare Macht, die diese Gestalt angenommen hatte, das scheint mir zunächst aus dem
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