Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)
verleitet, sich zu fixieren in Systemen, mit denen er glaubt, den verborgenen Mächten der Welt etwas entgegensetzen zu können.
In unserer Geschichte wird beides sichtbar: Der Stern führt die Weisen zunächst nur bis nach Judäa. Es ist ganz natürlich, dass sie auf der Suche nach dem neugeborenen König der Juden in die Königsstadt Israels und in den Palast des Königs gehen. Dort muss der künftige König ja wohl geboren sein. Sie brauchen dann die Weisung durch die Heiligen Schriften Israels, durch die Rede des lebendigen Gottes, um endgültig den Weg zu finden zu dem wahren Erben Davids.
Die Väter haben noch einen anderen Aspekt unterstrichen. Gregor von Nazianz sagt, dass in dem Augenblick, in dem die Magier Jesus anbeteten, das Ende der Astrologie gekommen sei, da die Sterne jetzt die von Christus bestimmte Bahn liefen (vgl. Poem. dogm. V 55–64: PG 37,428–429). In der antiken Welt wurden die Himmelskörper als göttliche Mächte angesehen, die über das Schicksal der Menschen bestimmten. Die Planeten tragen die Namen von Gottheiten. Nach der damals geltenden Auffassung herrschten sie irgendwie über die Welt, und der Mensch musste versuchen, mit diesen Herrschaften ins Reine zu kommen. Der Glaube an den einen Gott, den die Bibel bezeugt, hat hier schon früh eine klare Entmythologisierung vollzogen, wenn der Schöpfungsberichtin großartiger Nüchternheit Sonne und Mond – die großen Gottheiten der heidnischen Welt – als Lampen bezeichnet, die Gott zusammen mit der ganzen Sternenwelt am Himmel aufgehängt hat (vgl. Gen 1,16 f).
Bei seinem Eintreten in die heidnische Welt musste der christliche Glaube sich erneut mit der Frage der Gestirn-Gottheiten auseinandersetzen. In den Gefangenschaftsbriefen an die Epheser und an die Kolosser hat Paulus daher mit Nachdruck betont, dass der auferstandene Christus die Mächte und Gewalten in den Lüften besiegt hat und über das ganze All herrscht. In diese Linie gehört auch die Geschichte vom Stern der Weisen: Nicht der Stern bestimmt das Schicksal des Kindes, sondern das Kind lenkt den Stern. Wenn man so will, kann man von einer Art anthropologischer Wende sprechen: Der von Gott angenommene Mensch, so zeigt sich hier an seinem eingeborenen Sohn, ist größer als alle Mächte der materiellen Welt und mehr als das ganze All.
Zwischenstation in Jerusalem
E s wird Zeit, zum Text des Evangeliums zurückzukehren. Die Weisen sind am vermeintlichen Ort der Verheißung im Königspalast zu Jerusalem angekommen. Sie fragen nach dem neugeborenen „König der Juden“. Dies ist eine typisch nichtjüdische Ausdrucksweise. Im jüdischen Bereich würde man vom König Israels sprechen. In der Tat kehrt dieses „heidnische“ Wort „König der Juden“ erst im Prozess Jesu und in der Kreuzesinschrift wieder, beide Male von dem Heiden Pilatus gebraucht (vgl. Mk 15,9; Joh 19,19–22). So kann man sagen, dass hier – indem Augenblick, in dem die ersten Heiden nach Jesus fragen – irgendwie schon das Geheimnis des Kreuzes anklingt, das mit dem Königtum Jesu untrennbar verknüpft ist.
Recht deutlich kündigt es sich an in der Reaktion auf die Frage der Magier nach dem neugeborenen König: „Herodes erschrak und ganz Jerusalem mit ihm“ (Mt 2,3). Die Exegeten weisen darauf hin, dass zwar das Erschrecken des Herodes sehr verständlich war angesichts der Nachricht von der Geburt eines mysteriösen Thronprätendenten. Weniger begreifbar sei dagegen, wieso in diesem Moment ganz Jerusalem hätte erschrecken können. Dies sei wohl eher ein Vorgriff auf den königlichen Einzug Jesu in die Heilige Stadt am Vorabend seines Leidens, über den Matthäus sagt, dass die ganze Stadt in Aufregung geraten sei (vgl. Mt 21,10). Jedenfalls sind auf diese Weise die beiden Szenen, in denen irgendwie das Königtum Jesu erscheint, miteinander und zugleich mit der Thematik der Passion verbunden.
Mir scheint, dass die Notiz vom Erschrecken der Stadt auch für die Stunde des Besuchs der Magier Sinn gibt. Um die für ihn höchst gefährliche Frage nach dem Thronprätendenten zu klären, rief Herodes „alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes“ (Mt 2,4) zusammen. Eine solche Versammlung und ihr Wozu konnten nicht unbekannt bleiben. Die vermeintliche oder wirkliche Geburt eines messianischen Königs konnte für die Jerusalemer nur Ärger und Schlimmes mit sich bringen. Die Jerusalemer kannten schließlich Herodes. Was in der großen Perspektive des Glaubens Stern der Hoffnung
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