Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
des südlichen Imperiums eroberten.
Aufstand der Barbaren
Rund 3000 Kilometer von der Heimat Jesu entfernt lebten die Germanen in primitiven Stämmen. Sie kannten keine Schrift und keinen Kalender, doch sie brachten den Römern eine historische Niederlage bei.
Von Joachim Mohr
Ihr Ruf war denkbar schlecht. Feldherr Julius Caesar beschrieb sie in seinem Werk »De bello Gallico«, verfasst rund 50 Jahre vor Christi Geburt, als »grobschlächtige Krieger«, bei denen ein Stamm vor allem dann hohes Ansehen genieße, wenn er all seine Nachbarn gewaltsam vertreiben könne. Noch rund 150 Jahre später schilderte sie der römische Historiker Tacitus angewidert als ein »dem Trunk und dem Würfelspiel« verfallenes Volk, das »Feiglinge, Kriegsscheue und Schandkerle im Sumpf und Morast versenkt«. Dem Philosophen und Schriftsteller Seneca, Erzieher von Kaiser Nero, wiederum missfiel ihr »wilder unformbarer Geist«. Abgestoßen und doch gleichzeitig fasziniert blickte, um die Zeitenwende vor 2000 Jahren, die nach eigenem Verständnis zivilisierte Welt des Römischen Reiches in Richtung Norden – zu den Barbaren, den Germanen.
Doch wer waren diese Germanen? Wo und wie lebten sie? Handelte es sich tatsächlich nur um marodierende Banden kulturloser Axtschwinger, die ihre Feinde zerstückelten und gern auch Ritualmorde begingen? Die keine staatliche Ordnung kannten und oft von Hungersnöten geplagt wurden? Oder resultierte ihr katastrophales Image vor allem aus Roms großer Angst vor den fremden, wilden Kämpfern? Der Begriff »Germanen« findet sich schon etwa 80 Jahre vor Christus beim griechischen Historiker Poseidonios. Bekannt machte die Bezeichnung allerdings Julius Caesar, der mit »Germanen« die Einwohner der rechtsrheinischen Gebiete jenseits von Gallien und dem Imperium Romanum bezeichnete.
Dabei hat es ein großes, einheitliches Volk der Germanen nie gegeben. Um das Jahr 1 herum lebten etwa 40 Stämme im nördlichen Europa, zwischen Rhein, Donau und Weichsel: unter anderem die Cherusker, die Brukterer, die Langobarden, die Vandalen, die Sueben. Diese Völker fühlten sich nicht im Geringsten zusammengehörig, sie bekriegten sich ebenso regelmäßig wie leidenschaftlich. Teilweise wussten sie kaum etwas über einander. Abgesehen von einer verwandten Sprache, besaßen sie keine gemeinsame Identität. Zusammengerechnet handelte es sich wohl um nicht mehr als eine bis drei Millionen Menschen.
Sie kannten keine Schrift, keinen Kalender, keine Töpferscheibe, kein Geld, sie betrieben Tauschhandel. Die Masse lebte als freie Bauern, baute Getreide an und betrieb Viehzucht, womit sie sich selbst versorgten. Gern gingen sie auf die Jagd. Große Städte gab es keine, die Menschen siedelten in einzeln stehenden Gehöften oder in Weilern und Dörfern mit selten mehr als 300 Einwohnern. Ihre Hütten waren fensterlos mit einem Herd in der Mitte und einem offenen Rauchabzug im Dach. Menschen und Tiere lebten im gleichen Haus. Die Gebäude besaßen aus Flechtwerk und Holz gefertigte Wände, die mit Lehm abgedichtet wurden. Häuser aus Stein, wie sie die Römer errichteten, und Straßenbau gab es nicht. Auch über einen differenzierten Staatsapparat mit Beamten und Schulen, wie ihn Rom entwickelt hatte, verfügten die germanischen Stämme nicht. Die Gesellschaft war gegliedert in Freie, Halbfreie, dazu zählten vor allem Knechte, und Rechtlose, insbesondere Sklaven und Kriegsgefangene. Häufig kam es zu Blutrache.
Die freien Männer trafen sich beim Thing, einer Art Vollversammlung des Stammes, um wichtige Entscheidungen zu treffen, etwa den Anführer für einen Raubzug zu bestimmen, oder um Recht zu sprechen. Dabei wurden nicht, wie es heutiger demokratischer Sitte entspricht, die Stimmen der Einzelnen gezählt. Geurteilt wurde per Akklamation: Bei Zustimmung klopfte die Meute mit den Speeren, bei Ablehnung maulte sie. Die Germanenwelt war eine Männerwelt. Es war üblich, eine Braut zu kaufen, und auch gar nicht selten, eine Braut zu rauben. Dennoch galt die Einehe. Die ungestümen Kerle gefielen sich vor allem in der Rolle des Kriegers, Ackerbau, Viehzucht und Handwerksarbeiten schätzten sie nicht. »Die Sorge für Haus, Hof und Feld bleibt den Frauen, Alten und allen Schwachen überlassen«, schreibt denn auch Tacitus. Auf primitiven Herden aus Ton bereiteten die Frauen ein – für den römischen Gaumen – gewürzloses und fades Essen.
Wie wohl es einem Germanen erging, hing, abgesehen von der Gewaltbereitschaft
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