Jesus von Texas
zurück in ihr Zimmer bringen. Und verdammt hoffen, daß sie niemals versucht, Seite 67 oder 68 aufzuschlagen. Ihr kennt das ja. Dann ist da noch mein Kleiderschrank, wo hinten drin der Nike-Karton steht. Mit zwei Joints und zwei Trips LSD. Keine falschen Schlüsse, ich heb die nur auf, für Taylor Figueroa.
Trübes Licht bricht durch das düstere Szenerio draußen vor meinem Fenster. Der Schimmer lockt mich herüber, und ich sehe, wie schräg gegenüber ein Wust von Blumen und Teddybären vor Lechugas Veranda abgeladen wird. Jetzt sieht's da aus wie bei Prinzessin Debbie zu Hause, oder wer auch immer diese Prinzessin war, die gestorben ist. Alles auf einem Haufen, noch eingepackt. Das bedeutet, die Lechugas haben dafür bezahlt. Niemand sonst hat Max Blumen geschickt, das ist das Traurige an der Sache. Zum Heulen, echt.
Ich laß mir diese ganze Tragödienroutine durch mein aufgeweichtes Hirn gehen. Die Lechugas zum Beispiel müssen sich selbst Teddybären schicken. Und warum? Weil Max ein Arschloch war. Allein bei dem Gedanken spüre ich die Reißzähne der Verdammnis und warte auf wutschnaubende Hunde, die sich in meinem Fleisch verbeißen und meine miese Seele zur Hölle rotzen. Doch zugleich sitze ich hier mit feuchten Augen und weine um Max, um alle meine Klassenkameraden. Die Wahrheit ist eine quälende Sache. Sieht ganz so aus, als ob alle, die sonst über die Toten hergezogen sind, sich jetzt hinten anstellen, um zu beteuern, was für vollkommene Engel Gottes sie waren. Was ich daraus lerne? Die Welt grient täglich durch ihren Arsch, und wenn die ganze Scheiße dann den Bach runtergeht, lügt sie bloß noch mal so schnell. Als ob wir auf einer Pritikin-Diät beschissener Lügen sind. Ich meine - was soll das denn für ein Scheißleben sein?
Ich ziehe mir den verkrusteten Saum eines T-Shirts über die Augen und versuche, drüber hinwegzukommen. Eigentlich sollte ich hier Ordnung schaffen, wo doch alle so hibbelig sind, aber ich fühl mich einfach nur beschissen. Dann, mit einemmal, trifft mich eine Erkenntnis: Wenn man plant, etwas zu tun, und gerade überlegt, wie lange man wohl dafür braucht, dann ist das genau die Zeit, die das Schicksal einem gibt, bis die nächste Sache auftaucht, die getan werden muß.
»Vern?« schreit Mom aus der Küche. »Ver-non!«
vier
»Ver-non?«
»Was' los?« brülle ich. Keine verdammte Antwort von Mom. Ein typisch mütterlicher Zug ist das, sie werten nur den Klang deiner Stimme aus. Wenn man sie später fragt, was man gesagt hat, haben sie keinen blassen Schimmer. Hauptsache, der Sound stimmt - so halbwegs dümmlich.
» Vernon «.«
Ich schließe meinen Kleiderschrank und gehe durch den Flur zur Küche, wo sich rund um die Frühstücksbar eine vertraute Szene abspielt. Leona ist in der Küche bei Mom, die am Ofen hantiert. Brad Pritchard ist auf dem Läufer im Wohnzimmer und tut so, als ob keiner sehen kann, daß er seinen Finger im Arschloch hat. Und was machen alle? Tun so, als ob sie's nicht sehen können. Genauso sind sie, die Leute. Wollen sich ihr Katalogleben nicht bekleckern, indem sie sagen: »Brad, nimm deine Schweinegriffel aus deinem verdammten Anus!«, also tun sie so, als ob's gar nicht so ist. Genauso, wie sie probieren, dem bohrenden Schmerz der Trauer zu entkommen, der überall in dieser klapprigen Stadt zu spüren ist. Sie haben aber keine Chance, man sieht's ihnen an. Die Last des Kummers schnürt ihnen die Luft ab. Der einzige Lichtblick ist Pam, die auf Dads altem Sofa in der dunklen Ecke des Zimmers gestrandet ist. Aus den Falten ihres Moo-Moo-Umhangs taucht ein Snickers-Riegel auf.
Ich gehe zur Küchenseite der Bar, wo Leona immer noch den Boden für ihre Prahlereien bereitet; erst einmal muß sie Mom leer laufen lassen, weswegen ihre Stimme auf und ab schlittert: »Ach, wie schön, wow, Doris, wie toll« wie eine Sirene. Dann, gerade als sich Mom so richtig hochgeschaukelt hat, trumpft sie auf.
»Sag mal, hab ich dir eigentlich erzählt, daß ich ein Hausmädchen kriege?«
Moms Mund knautscht sich zusammen. »O - super.«
Es kann nicht lange dauern, dann wird Leona nachlegen. George bläst Betty mit ultraleichtem Zigarettenqualm voll, während beide so tun, als ob sie fernsehen; ihr ultramildes Lächeln rührt daher, daß sie schon wissen, wieviel Leona noch in petto hat. Mom brabbelt nur irgendwas von wegen dem Ofen. So hat sie was, wo sie ihren blöden Schädel reinstecken kann, solange sie verschont bleibt. Eine Schweißperle krabbelt
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