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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DBC Pierre
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vor, unter einem Himmel voller Tumorwolken und verschwommenem Lavalampenlicht. Stellt euch mich darin vor, im hinteren Teil - eine faulige Hülle sinnloser Markennamen, ein verwesender Unterschlupf für Maden und Würmer. Vernon Gottverlassen Little. Ihr ahnt schon, daß ich Mom nicht angerufen habe. Ich hab noch nicht mal einen Bissen gegessen heute. Mein ganzes Tagwerk: Ich hab mich an ein Kreuz genagelt.
    Zwei Bildschirme flimmern in meinem Kopf. Der eine zeigt in endlosen Schleifen warme Nahaufnahmen von Taylor. Ich versuche, nicht hinzusehen und im Nebenzimmer zu bleiben, was nicht so einfach ist, weil's gar kein Nebenzimmer gibt und ihr milchiger Hintern vor mir endlose Kreise zieht. Auf dem anderen Bildschirm läuft ein weiterer zeitloser Klassiker: Mom oder Liebling, ich habe die Familie gefickt. Da versuch ich auch nicht hinzuschauen. Das einzige, wo ich hinschaue, ist das Fenster mit der doppelten Spiegelung meiner dämlichen Fresse. Draußen rollen unendliche Weiten vorüber - verwischte, trübe Weiten, Teppichflusen auf nassem Biskuit. Überlandleitungen und Strommasten ziehen vorbei wie Notenzeilen, aber die Melodien darauf stinken zum Himmel.
    Das ist die Situation, in der mich der entscheidende Schlag des Tages trifft, der, den ich nicht erwartet hab: Das Schicksal teilt Taylor ein Lied zu. Es gibt da diesen Punkt, wo man denkt, jetzt ist man schon so übel zugerichtet, mehr geht nicht, mehr erlauben die Naturgesetze nicht. Und genau an diesem Punkt passiert dann immer noch was, womit man nicht gerechnet hat. Ich weiß schon, wie's jetzt weitergeht. Wenn sich ein Schicksalslied erst mal eingenistet hat, wird man's nicht mehr los, das ist allgemein bekannt, auch wenn's nicht jeder zugeben würde. Schicksalslieder sind wie Herpes, verdammt - einfach nicht totzukriegen. Man hat nur eine einzige Chance: Man kauft das verdammte Lied und hört es sich Tag und Nacht an, bis es jede Bedeutung verloren hat. Das kann höchstens vierzig Gazillionen Jahre dauern. Jeder weiß das, aber trotzdem kann ich mich nicht erinnern, in der Schule jemals was über die zerstörerische Kraft von Schicksalsliedern gehört zu haben. Diese kleine Perle der Weisheit haben sie uns verheimlicht. Ich meine, ich laß mich da gerne berichtigen, vielleicht war ich ja nicht da an dem Tag, oder es war der Tag, an dem ich den Schulhof fegen mußte, weil ich die Frösche aus dem Biologieraum befreit hab. Aber so, wie ich mich an die Sache erinnere, waren wir viel zu beschäftigt damit, Surinam zu assimilieren, um irgendwas von bleibendem Wert zu lernen. Schicksalslieder zum Beispiel.
    »Tss, tss, tss« kommt es aus den Kopfhörern eines Typen ein paar Reihen vor mir - Taylors Lied. Es ist »Better Man« von Pearl Jam. Ich weiß noch nicht mal, wie der Text geht, aber ihr könnt ruhig davon ausgehen, daß ich die nächsten achtzig Millionen Jahre in der Hölle damit verbringen werde, jede Zeile an meine Situation anzupassen, selbst wenn sich rausstellt, daß sie von Murmeltieren im Weltall handeln.
    Und was das schlimmste ist: Es ist nicht mal ein reines Sexlied. Keine Spur von einem dreckigen kleinen Baßlauf, der einem den Rücken hoch und runter vibriert; nichts, wogegen Masturbation hilft. Im Gegenteil - es ist eins dieser Lieder, die dich schreiend aus den Höschenträumen hochreißen und einer Umklammerung übergeben, die mächtiger ist als dreiste Baßläufe: gehärtetes, körniges Verlangen und Sehnsucht. Das tödliche Bouquet der Liebe.
    Ein Schluchzen steckt mir in der Kehle. Ich würge es hinter und schaue mich nach einer harmlosen visuellen Ablenkung um, doch alles, was ich sehe, ist eine stämmige junge Frau mit einem Baby ein paar Reihen vor mir. Das Baby zieht der Frau an den Haaren, und sie blickt es mit gespieltem Entsetzen an.
    »O nein«, sagt sie, »wie kannst du das Mommy nur antun?«
    Sie tut, als ob sie weint, doch das Baby lacht und gluckst wie wahnsinnig und zieht noch kräftiger. Ich werde Zeuge, wie einer neuen, unversehrten Seele die erste Verletzung beigebracht wird - mit mütterlicher Klinge. Die Abrichtung beginnt. Voller Ruhe und total unschuldig in ihrer Einfalt, nimmt Mom den Jungfernschnitt vor und öffnet die Kontrollwunde.
    »O nein, du hast Mommy getötet, Mommy ist gestorben!« Sie spielt tot.
    Der kleine Kerl kichert noch ein bißchen, doch dann nicht mehr. Dann spürt er, irgendwas stimmt nicht. Sie wacht nicht auf. Er hat sie getötet, sie hat ihn verlassen, einfach so, weil er an ihren Haaren

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