Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
Meer, an ihn. Vielleicht könnte ich …? Der Gedanke kam wie ein Blitz. Ich war schließlich noch krankgeschrieben. Nein, das ging doch nicht. Oder? Niemand musste es mitkriegen. Ich konnte für ein paar Tage verschwinden, ohne dass mich auch nur ein Mensch vermisste. War ja niemand mehr da. Ich meinte den Duft von Pinien und Kräutern zu riechen, Gitarrenklänge zu hören. Meine Finger fanden die richtigen Tasten nur mit Mühe. »Tim? Tim, hörst du mich?« Es rauschte in meinem Ohr. Ich wollte gern glauben, dass es das Rauschen des Meeres war. Dann war da warm und weich Tims Stimme. »Natürlich kannst du herkommen. Wann immer du willst.«
Fünf Stunden nach dem Gespräch saß ich im Flugzeug. War ich jetzt ganz verrückt geworden? Schon möglich. Es war mir völlig egal. Herkules hatte ich erneut bei Tims Freunden untergebracht, Knut per SMS informiert, dass ich wegfuhr, und seine Anrufe weggedrückt. Diesmal flog ich von Hamburg nach Sevilla. Wieder wollte Tim mich abholen. Aber sonst würde alles anders sein. Ich schwor es mir.
»Lilli, was ist denn mit dir los?« Lachend befreite Tim sich aus meiner Umarmung. – »Küss mich!« Er drückte mir mit fragenden Augen einen zarten Kuss auf die Lippen. Andere Reisende umfluteten die kleine Insel, die wir in der unwirtlichen Halle des Flughafens bildeten. Jemand stieß mir seinen Gepäckwagen in die Fersen, ich bekam es kaum mit. Ich hatte Wichtigeres zu fühlen. Es war da, das Kribbeln, Gott sei Dank. Im Flugzeug hatte mich die Angst überfallen, dass da vielleicht gar nichts mehr wäre zwischen Tim und mir. Noch einmal umschlang ich ihn mit beiden Armen und legte den Kopf an seine breite Brust. »So kenne ich dich ja gar nicht.« Da war er nicht der Einzige. Auf dem Weg zum Wagen, den wir in einem unübersichtlichen Parkhaus eine Weile suchen mussten, hielt er mich im Arm.
»Was ist passiert, Lilli? Du siehst völlig erschöpft aus.« Während der Fahrt durch die mondlose Nacht erzählte ich ihm von Knut und der Blonden. Von Marie-Anne und ihrem Verrat sprach ich nicht. Das konnte bis morgen warten. »Nicht sehr feinfühlig, dein Mann«, meinte Tim. »Aber ich verstehe trotzdem nicht so ganz, warum du aus dem Café weggelaufen bist. Du hast doch längst gewusst, dass es eine andere gibt. Und irgendwann musst du doch mal klären, wie das mit euch weitergehen soll.« – »Ja, sicher, ich weiß. Ich war nur so aufgelöst in dem Moment, ich hab ganz spontan reagiert. Und später kam deine SMS, und dann wollte ich einfach nur noch zu dir. Ich hab gar nicht groß nachgedacht. Bitte sag, dass das kein Fehler war.« – »Natürlich nicht.« Er nahm meine Hand und ließ sie erst wieder los, als wir von der Autobahn abbogen und er mit beiden Händen steuern musste. Kein Hotel diesmal. Wir fuhren direkt zur Finca.
Alles war so, wie ich es in Erinnerung hatte. Leise Musik, Kerzen und Wein auf dem Tisch, im Kamin glomm ein heruntergebranntes Feuer. Das kleine Häuschen warm und heimelig, das Bett groß und einladend. Da war Tims Lächeln, das mich glühen ließ wie eines der Holzscheite, die er inzwischen aufgelegt hatte. Déjà-vu.
Aber etwas stimmte nicht. Tim hatte sich nicht zu mir gesetzt, und er streichelte auch nicht mein Haar. Er saß in dem anderen Sessel und hatte aufgehört zu lächeln. »Du bist nur hier, um mit mir zu schlafen, oder?« Ich verschluckte mich an meinem Rotwein. Tim blickte mir direkt in die Augen. Die goldenen Sprenkel in seiner Iris reflektierten das Licht der Flammen. »Geht es dabei um mich oder um Rache an deinem Mann?« Wie zur Untermalung krachte im Kamin ein Stück Holz, und Funken flogen in alle Richtungen. »Guck doch nicht so erschreckt. Die Frage liegt doch nah.« Ja, das tat sie wohl.
Mein Schweigen füllte den Raum, übertönte die sanfte spanische Stimme, die im Hintergrund leise sang. Immer noch dieser intensive Blick. »Es geht um mich«, flüsterte ich schließlich. – »Nur um dich?« – »Nein, so mein ich das nicht. Um dich natürlich auch.« Verdammt, war das schwer. »Ich – ich fühle mich von dir angezogen, seit ich dich das erste Mal gesehen habe.« Musste so einen Text nicht normalerweise der Mann sagen? Das klang doch furchtbar aus dem Mund einer Frau. Aus meinem Mund. Tim sah mich weiter an, wartete. »Heute, als ich Knut mit dieser Frau gesehen habe, da hab ich plötzlich gedacht, dass ich so blöd war. Neulich, du weißt schon. Als ich nicht mit dir geschlafen hab, obwohl ich es doch so doll wollte. Ich hab
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