Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
Kokon bleiben wollte. Und weil man auf seine innere Stimme hören soll. »Sag mal, Lilli, spinnst du?!« Sie sprach so laut und so schrill, dass ihre Stimme durch die gesamte Küchennische schallte, obwohl das Telefon nicht laut geschaltet war. »Knut ist total fertig, du kannst doch nicht einfach so abhauen! Wo bist du überhaupt? Und wieso erfahre ich erst jetzt, dass Knut ausgezogen ist?« Tim zog die Augenbrauen hoch. »Ich glaube kaum, dass ich dir Rechenschaft schuldig bin«, sagte ich und stand auf, um zur Sitzecke am Kamin hinüberzugehen. Lieber hätte ich draußen telefoniert, aber die Sintflut dauerte an. »Was ist das überhaupt für ein Ton, in dem du mit mir sprichst?« – »Was erwartest du? Mein Vater weint am Telefon! Du bist über alle Berge, ohne mir ein Wort zu sagen!« – »Seit wann interessierst du dich für das, was ich tue? Oder dafür, wie es deinem Vater geht?« Kurz war sie still und sagte dann ruhiger: »Mama, was ist bei euch los?« Sie sagte Mama? Ich hörte wohl nicht richtig. »Wir reden, wenn ich wieder da bin.« – »Wieder da von wo?« – »Ich mache so eine Art Kurzkur.« Mein Grinsen spiegelte sich im Display des Telefons. »Mittwoch bin ich zurück, dann rufe ich dich an. Tschüs.« Ich hörte Julia Luft holen und legte auf.
»Was für ein Besen war das denn?« – »Meine Tochter.« – »Ich wusste gar nicht, dass du Kinder hast.« – »Eins.« Es gab eine Menge, was Tim nicht von mir wusste. Vielleicht war jetzt ein guter Moment, um ihm von Marie-Anne zu erzählen. – »Daher also stammt die Narbe auf deinem Bauch. Die würde ich mir gern noch mal ein bisschen genauer ansehen.« Tim grinste wie ein Schuljunge und wurde tatsächlich ein bisschen rot. Na ja, dachte ich und grinste zurück, reden können wir immer noch. Ich durfte schließlich den Erfolg der Kur nicht gefährden.
Erst sehr viel später kam mir wieder in den Sinn, was Julia gesagt hatte. Tim war draußen, um neues Holz zu holen, und ich trank noch einen Kaffee vor dem Kamin. »Mein Vater ruft mich an und weint.« Knut war nicht der Typ, dem schnell die Tränen kamen. Und wenn, dann ganz bestimmt nicht meinetwegen. Vielleicht hatte Samara doch noch das Baby verloren. Oder Gerti ging es schlechter. Aber das hätte Julia doch gesagt? Wie auch immer. Es war mir völlig gleich, warum der Mann auf die Tränendrüse drückte. Plötzlich glaubte ich Marie-Annes Stimme zu hören: »Soll sich doch seine blonde Flamme um ihn kümmern.« Ich seufzte. – »Schwere Gedanken?«
Tim war zurück, legte Holz nach und holte sich auch einen Kaffee. »Ist es wegen dem Anruf von deiner Tochter?« – »Auch.« – »Habt ihr ein gutes Verhältnis?« Klar, könnte gar nicht besser sein, deshalb brüllte sie mich am Telefon auch an. Komm, Lilli, nun sei nicht pampig zu Tim. Er hat doch nur eine ganz normale Frage gestellt. »Wir haben eigentlich gar kein Verhältnis. Julia ist … sie ist so anders als ich.« – »Wie anders?« Wie sollte ich das sagen? »Immer weiß sie genau, was sie will. Und das kriegt sie dann auch. Mich hält sie für die totale Versagerin. Damit hat sie ja auch ganz recht.« – »Warum sagst du so was?« – »Weil es stimmt. Oder wie würdest du eine Frau bezeichnen, die eine Betrügerin für ihre beste Freundin hält und sich von ihr um zweihundertfünfzigtausend Euro erleichtern lässt?« Tim runzelte die Stirn. – »Das ist dir passiert?« Ich nickte. – »Hart. Aber wenn Betrogenwerden deine Definition von Versagen ist, dann sitzen hier gerade zwei Versager zusammen.«
O Mist. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Michaela in Südafrika, Tim vor den verschlossenen Türen seiner Hundeschule. Wenn einer wusste, was es hieß, belogen und betrogen zu werden, dann er. »Natürlich bist du kein Versager, du hast diese Frau geliebt, du konntest das doch nicht ahnen!« – »Und du?« – »Ich war einfach nur dumm.« Ich erzählte ihm von Marie-Anne, gestand ihm, wie dringend ich mich nach einer Freundin gesehnt, wie sehr ich die Aufmerksamkeit einer so weltgewandten Frau genossen hatte. Und je mehr ich redete, desto klarer wurde mir, dass ich mich sozusagen selbst auf die Schlachtbank gelegt hatte. »Ich hab ihr von all meinen Sorgen erzählt, von Knut, von meiner Tochter, von meinen Ängsten – und von meinem Lottogewinn. Sie hat mir das Gefühl gegeben, dass ich ein ganz anderes Leben haben kann, wenn ich nur will. Und zum Schluss hat sie mir dann diese phantastische Wohnung in Hafen-City
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