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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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den Saal gestürmt. Burschen aus der letzten Klasse. Die Ältesten. Die
Größten. Die Hässlichsten und Gemeinsten. Da polterten, stampften und trampelten sie in die Halle hinein. Wahrscheinlich kamen sie vom Fußball, vom Weitspringen oder vom
Kugelstoßen, hatten sich die Sportgeräte und die Fäuste um die Ohren geschlagen und ihre leeren Ochsenhirne mit Träumen von großen Siegen und prallen Weibern ausgestopft.
Schnell füllte sich der Saal mit einem scharf-säuerlichen Geruchsgemisch von Pubertät, Arschfaltenschweiß und dutzenden Geschlechtern, die nur darauf warteten, aus ihren
feuchtwarmen Höhlen auszubrechen.
    Und dann entdeckten sie uns. Sahen mich mit heruntergezogener Hose und mit der fest in meinem Arsch verbissenen Tinka im Schlepptau auf dem Boden herumkriechen. Sie sahen ihren weißen
Hintern in die Höhe ragen und ihre Brüste wie Sandsäcke wild hin und her baumeln. Und sie sahen, wie mein Schwanz gemeinsam mit meinem Stolz zu einem Nichts zusammenschrumpfte.
    Ich wollte in die Bodenritzen hineinkriechen und für immer zwischen den schweißgetränkten Dielen verschwinden. Aber jetzt war ich nun einmal da, ein halbnackter Wurm, angebissen
von der läufigen Tinka und umkreist von dreißig pubertierenden Halbaffen.
    Ich starrte hoch in den Kreis der leuchtenden Pickelköpfe. Wie durch einen Schleier erkannte ich das blöde Erstaunen in ihren Gesichtern, das sich in diesem Moment schon zu wandeln
anfing: zuerst in ein ungläubiges Grinsen, dann in ein bösartiges Feixen und schließlich in ein haltloses Hohngelächter. Ein Sturmgewitter von Verachtung, Spott und
Boshaftigkeit brach über uns herein. Die Kerle bogen sich vor Lachen, klatschten sich auf die Schenkel und droschen sich gegenseitig auf die Schultern, dass der Pickelsaft nur so spritzte. Mir
wurde ein wenig schwarz vor Augen. Schwindlig. Und auf einmal merkte ich, wie sich der Boden unter mir öffnete. Ein schwarzes Loch klaffte auf, begann sich zu drehen und riss mich in einem
immer schneller werdenden Strudel in die Tiefe.
    Doch schon in der nächsten Sekunde wurde ich wieder nach oben zurückgeschleudert, vom Turnhallenboden ausgespuckt wie ein Knorpelstückchen, und alles war wieder da: Mein rasendes
Herz, die grelle Deckenleuchte, die schreienden Pickelköpfe, und irgendwo dahinter Sportlehrer Wolareks grinsender Quadratschädel.
    Hinter mir saß Tinka auf ihrem nackten Hintern und versucht irgendwie ihre Titten in den Armen unterzubringen. Ich zog meine Hose hoch, rappelte mich auf und stolperte aus der Halle und
ins matte Nachmittagslicht hinaus.
    Eine Weile lief ich ziellos durch die Straßen, bis ich schließlich an einer menschenleeren Kreuzung stehen blieb. In der Mitte hing eine Ampel mit dunklen Lampenlöchern.
Offensichtlich hatte hier vor vielen Jahren jemand mit Verkehr gerechnet. Aber es gab keinen. Die Häuser waren grau und leer, vernagelte Eingänge, verstaubte Fensterscheiben, dazwischen
eine Brache, ein eingetretener Zaun, Schutthaufen, spröde Baggerspuren, Gebüsch, dahinter eine windschiefe Bretterhütte, morsche Balken, Dreck, Abfall, Unkraut. Mitten auf dem Gehweg
lag eine tote Taube. Der rechte Flügel schien gebrochen und ragte in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab. Der Hals war aufgeplatzt, zwischen den Federn klaffte ein schwarzrotes
Loch. Die Augen waren erloschen und stumpf wie die Ampellichter. Eine einzelne Feder zitterte im leichten Wind.
    Mir war immer noch schwindlig. In meinem Magen rumorte es leise. Mein Hals und meine Augen brannten. Ich blinzelte in den Himmel hoch. Trotz der dichten Bewölkung war es unangenehm
heiß. Eine bewegungslose, schwüle Hitze.
    Plötzlich schüttelte es mich. Ein eisiger Schauder durchfuhr meinen Körper und ein haltloses Zittern setzte ein. Dann wieder ein Schütteln. Noch eines. Und noch eines. Ich
ließ mich mit dem Rücken gegen die Wand fallen, rutschte daran herunter, kippte zur Seite und krümmte mich zusammen. Sofort begann ich zu kotzen. Es schoss einfach aus mir heraus.
Gleichzeitig öffneten sich auch die hinteren Schleusen. Ich presste die Oberschenkel aneinander und beide Hände gegen den verkrampften Bauch. Ich wollte es zurückzuhalten, aber der
Schüttelfrost ließ mir keine Chance. Alles löste sich, und in einem einzigen gewaltigen Schwall schiss ich mir in die Hose.
    Irgendwann war es vorbei und ich lag da. Ein durchgerütteltes Bündel Mensch in seinem eigenen Dreck. Mühsam rappelte ich mich hoch. Der Himmel war

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