Jetzt wirds ernst
vier Kisten Wein und zwei
Flaschen Birnenbrand aus dem Keller hochzuschleppen, das Rathaus abzuriegeln und die Telefone abzustellen. Nun ging die Diskussion los.
Niemand wusste etwas, niemand wollte etwas gewusst haben, und schon gar niemand konnte etwas gewusst haben, da das Luftverkehrswesen im Allgemeinen und Flugplätze im Besonderen ja auch
nicht in irgendjemandes Zuständigkeitsbereich gehörten. Niemand war zuständig. Niemand war verantwortlich. Da die Faktenlage also recht ungeklärt blieb, wurde es gemein.
Vorwürfe wurden auf den Tisch geschaufelt, bissige Bemerkungen, durchsetzt mit persönlichen Beleidigungen, wurden hinterhergeschoben. Bösartigkeit machte sich breit.
Ein junges Bürschchen mit ehrgeizigem Blick und flaumigem Bart schlug vor, dass die alten Herren in der Runde vielleicht endlich mal ihre Gemeinderatssitze räumen, und stattdessen die
freien Plätze an den städtischen Rentnerstammtischen einnehmen sollten, woraufhin sich einige Grauköpfe anboten, der vorlauten Jugend gleich einmal den zarten Hintern mürbe zu
prügeln.
Der schüchtern vorgetragene Vorschlag eines dürren Sozialisten, man möge aus Gründen der politischen und persönlichen Harmonie gemeinsam ein Lied anstimmen, die
Landeshymne vielleicht oder die Stadthymne oder zur Not auch eine x-beliebige Schlagermelodie, ging im donnernden Hohngelächter unter.
Als der Bürgermeister seinen mächtigen Körper hochhievte und dem neben ihm sitzenden, zweiten Kassenwart mit dröhnender Stimme empfahl, doch lieber seine blöde Fresse zu
halten, da er sie ihm ansonsten höchstpersönlich mit ein paar Hühnerbeinen stopfen werde, blieb dieser relativ gelassen und erwiderte, dass es für den Herrn Bürgermeister
vielleicht bitteschön ganz angebracht sei, auf seinem breiten Arsch sitzen zu bleiben, wo schließlich der ganzen Stadt, insbesondere aber der Frau Bürgermeister bekannt sein
dürfe, dass ihr Gatte gar nicht mehr in der körperlichen Verfassung sei, irgendetwas zu stopfen.
Wütendes Geschrei.
Jemand machte sich, angefeuert von seiner Fraktion, auf den Weg in den Keller, um Nachschub zu besorgen.
Der dürre Sozialist hatte sich mittlerweile am Tischende aufgestellt und fing nun an, mit etwas öligem Timbre ein Kampflied zu singen.
Plötzlich ging alles schnell. Ein erhobener Arm. Eine rasche Bewegung. Etwas Dunkelrotes zischte glitzernd und gluckernd durch die Luft und zerplatzte an der Schläfe des Sozialisten.
Eine Sauerei aus Glassplittern, Rotwein und Sozialistenblut. Gegenseitige Beschuldigungen. Halbherzige Beschwichtigungsversuche. Hasserfüllte Anfeindungen. Erste Handgreiflichkeiten.
Unter großem Beifallsgejohle kam der Nachschub. Zwei weitere Kisten Rotwein, vier weitere Schnapsflaschen, zweimal Birne, je einmal Pflaume und Marille.
Der Rest der Sitzung ist Legende, die Liste der daraus resultierenden Folgen lang und aufschlussreich: eine Anzeige wegen Beleidigung, drei Anzeigen wegen Körperverletzung, ein versauter
Perserteppich, ein angeknackstes Tischbein, ein angeknackstes Jochbein, vier blutige Nasen, zwölf Krankenstandsmeldungen, eine Scheidung, zwei wechselseitige Parteiübertritte, drei
Anträge auf vorgezogene Kommunalwahlen (abgelehnt), ein Antrag auf Aufstockung der Kellervorräte (genehmigt).
Die Sache mit dem Flugplatz wurde vertagt. Oder vergessen. Oder von anderen, dringlicheren tagespolitischen Themen verdrängt. Jedenfalls wurde nie wieder darüber gesprochen.
Und hinter der Stadt breitete sich wie eh und je der Acker aus, weit, flach, unfruchtbar und staubig.
Max war bereits da. Wie eine Vogelscheuche stand er mitten in der Ebene, schon von Weitem hatte ich seine blonden Haare im Wind flattern sehen und war auf ihn zugesteuert.
Wir standen uns ganz nah gegenüber und sagten nichts. Max schloss kurz die Augen. Öffnete sie wieder. Blinzelte. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie lang seine Wimpern waren. Lang, in
einem Bogen nach oben geschwungen und hellblond, fast durchsichtig.
Es begann wieder leicht zu nieseln. Der Boden unter unseren Füßen war weich und schmatzte bei jeder kleinsten Gewichtsverlagerung. In weiter Entfernung donnerte es leise. Max’
Wimpern zitterten.
Ich schlug zu.
Meine Faust landete mit voller Wucht über seiner Schläfe. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen, der ganze Oberkörper geriet ins Pendeln. Doch er hatte sich schnell wieder im
Griff. Und jetzt war er dran. Er traf mich genau am Ohr. Ein stechender Schmerz. Ein heller, sirrender Ton. Ich
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