Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
Vom Netzwerk:
wechselte den Arm und landete einen ungeschickten, aber kräftigen Hieb an seinem
Nacken. Seine Antwort knallte mir direkt vor die Stirn.
    Und so ging es weiter. Wir teilten einen Hieb nach dem anderen aus. Schlag auf Schlag. Keiner sagte etwas. Kein Wort. Kaum ein Ton. Wortlos und stumm prügelten wir aufeinander ein.
    Plötzlich brach mit ungeheurem Getöse der Himmel auf. Es war, als ob alle Wolken auf einmal aufplatzten und ihren Inhalt über uns entleerten. Der Regen prasselte auf uns herab und
spülte uns das frische Blut in schmalen Rinnsalen aus den verschwollenen Gesichtern. Der Donner polterte und krachte über uns hinweg. Es war stockdunkel, nur hin und wieder erhellte ein
Blitz die weite Ebene, auf der wir als einzige Lebewesen standen und uns die heißen Köpfe einschlugen.
    Keiner gab nach. Ein harter Hieb, ein schwerer Treffer nach dem anderen. Unsere Köpfe pendelten wie Punchingbälle hin und her. Mittlerweile waren wir knietief im Matsch eingesunken.
Die Kleider klebten wie nasse Lappen an unseren Körpern. Oben spritzte das Blut, unten der Dreck, bis zum Kragen waren wir mit einer glibberigen Schlammschicht überzogen. Wir sahen
fürchterlich aus. Wir waren fürchterlich. Ohne es zu merken, hatten wir uns in grauenhafte Kreaturen verwandelt, urtümliche Geschöpfe aus den Tiefen der Erde, die nun zum ersten
Male ans Licht gekrochen waren, Zwillinge der Dunkelheit, schlammgeborene Golems.
    Allmählich ließen Präzision und Härte unserer Schläge nach, die Abstände dazwischen wurden immer länger. Und schließlich war es vorbei. Wir fielen
gleichzeitig um, blieben nebeneinander auf dem Rücken liegen und sahen in den Himmel hoch. Schwarze Wolken rasten dort oben vorüber. Der Regen prasselte in unsere Gesichter. Die
Wasserschnüre über uns schienen direkt in die Unendlichkeit des Weltalls hinauszuführen. Plötzlich spürte ich etwas an meiner Seite. Es war seine Hand. Sie kroch zu mir,
schien mich zu suchen. Ich nahm sie.
    Wir lagen da, hörten den Regen rauschen und den Himmel krachen. Wir spürten die aufgeweichte Erde unter unseren Hintern und die warmen Finger des anderen. Wir schlossen die Augen und
ließen uns davontreiben, zwei Jungs mit geschwollenen Köpfen, auf dem Rücken und Hand in Hand in einem Meer aus Schlamm.

DIE LEICHTEN KÖPFE DER UNTOTEN
    Vater war in den letzten Jahren ein bisschen wunderlich geworden. Kein Sonderling, kein Eigenbrötler, keiner dieser traurigen, halb vergammelten Freaks, in die sich manche
Männer nach dem Tod ihrer Frauen verwandeln, aber eben doch ein wenig seltsam. Die Köpfe seiner Kunden betreute er nach wie vor mit der ihm eigenen, liebevollen, geradezu pedantischen
Akkuratesse. Und er war ruhig, freundlich und zuvorkommend wie eh und je. In den Leerzeiten, die praktisch den Großteil des Tages ausmachten, saß er dagegen oft völlig regungslos
auf einem kleinen Höckerchen und starrte zum Waschbecken, zum ehemaligen Arbeitsplatz meiner Mutter hinüber. Manchmal durchlief ein kurzer Schauder, ein kaum merkbares Zittern seinen
Körper, dann setzte er sich in Bewegung und fing an, sich um seine Blumen und Pflanzen zu kümmern. Seit Mutters Tod hatte sich der Salon nach und nach in ein kleines Gewächshaus
verwandelt. Überall standen oder hingen Vasen, Töpfe und Tiegel mit grünen oder bunten Auswüchsen. Auf dem Zeitungstischchen standen stets frische Schnittblumen aus dem Garten,
neben den Spiegeln ragten farbenprächtige Orchideen aus hohen Vasen, auf dem Schrank mit den Haarpflegemitteln gediehen duftende Kräuter und an den Wänden rankten sich
Kletterpflanzen mit winzigen Blättern hoch. Sogar an der Decke verästelten sich die dünnen Ärmchen einer lindgrünen Pflanze. Es roch wie im Wald nach einem Sommerregen. An
manchen Tagen dampfte es wie in einem Treibhaus, und an der Innenseite der Auslagenscheiben lief das Kondenswasser in schmalen Bächlein hinunter.
    Die wenigen Kunden, die dem Salon treu geblieben waren, schien das nicht zu stören. Vielleicht tat die Feuchtigkeit ihren altersbrüchigen Bronchien gut. Ihr leises Rasseln und
Röcheln, die ewige Melodie zu Vaters rhythmischem Scherengeklapper, war jedenfalls kaum noch zu hören.
    Es war ein träger Sommertag, trocken und heiß. In unserer Gegend tat sich nicht viel. Die Leute, die es sich leisten konnten, hatten sich in ihre kleinen Autos
gezwängt und in eine der unzähligen Staureihen eingeordnet, die als endlose, bunte Blechketten in allen Richtungen von der

Weitere Kostenlose Bücher