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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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das.
    Er kämpfte mit sich, versuchte sich einigermaßen aufrecht zu halten, die Fassung zu bewahren. Dabei konnte man förmlich zusehen, wie die Gedanken aufgeschreckt hinter seiner
Stirn herumhuschten.
    Ich saß geduckt da und stocherte mit dem Finger im leeren Teller. Ziemlich lange geschah nichts. Doch plötzlich stand er auf, ging zum Küchenschrank, holte eine verbeulte
Mehldose aus dem obersten Fach, und kippte sie über dem Tisch aus. Kleine Mehlwolken stiegen hoch, als er mit den Fingern in dem Häufchen herumwühlte. Zum Vorschein kamen ein paar
zusammengerollte und sorgfältig in Plastikfolie eingewickelte Geldscheine.
    »Ist nicht viel …«, sagte er mit einem verlegenen Lächeln, »aber für den Anfang wird es reichen«.
    Er legte die Röllchen vor mich hin, setzte sich und zupfte wieder an seiner Flasche herum.
    Ich saß da, dumm und gerührt, und konnte nichts sagen. Eine Weile starrten wir schweigend auf die Tischplatte. Schließlich nahm ich das Geld, steckte es ein und stand auf. Vater
auch. Ich machte einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn ungeschickt. Ich spürte seine kleinen Hände auf meinem Rücken. Er roch nach Shampoo und Düngemittel. Wir klopften uns
kräftig auf die Schultern, nickten uns zu, tranken unsere Biere aus, steckten die Hände in die Hosentaschen, sahen auf den Boden hinunter und gingen.
    In meinem Zimmer hörte ich, wie er noch einmal leise in die Küche zurückschlich und mit seinem kleinen Handbesen das Mehl vom Tisch fegte.

ALS DIE LEUTE FAST ETWAS KAPIERT HÄTTEN
    Kunst und Kultur hatten in unserer Stadt keinen hohen Stellenwert. Im Grunde genommen spielten sie in den Köpfen der Stadtobersten überhaupt keine Rolle. Nach der
ganzen Aufregung um den Flugplatz hatte man sich wieder in die ledergepolsterten Gemeinderatssessel zurückgelehnt und sich der Tagespolitik gewidmet. So wie meistens in den letzten Jahrzehnten
wurde über die Ausbesserung von Schlaglöchern diskutiert, über die ewig fällige Renovierung der Hermann-Conradi-Gesamtschule, die Verlängerung der Straßenbahnlinie um
zwei Stationen bis vor die Haustür des stellvertretenden Bürgermeisters und die damit verbundene Errichtung eines beleuchteten Haltestellenhäuschens, über die von den
Pensionärsdackeln von vorne bis hinten vollgeschissenen Parkanlagen, über Lärmschutzmauern rund um die städtischen Kindergärten und über Mittelkürzungen für
das Altenheim bei gleichzeitiger räumlicher Erweiterung des städtischen Friedhofes. Manchmal wurde ein neuer Dienstwagen für den Bürgermeister genehmigt, oft eine einmalige
Aufstockung der Kellervorräte und praktisch immer eine allgemeine Erhöhung der Diäten und Zulagen. Im Frühjahr debattierte man über Beschaffung und Aufstellung des
Maibaumes, im Winter über die des Weihnachtsbaumes. Vor den Wahlen trieb man sich gerne draußen herum, durchschnitt bunte Bänder vor neu errichteten Ampelanlagen, hielt bewegende
Reden an den Gräbern von Ehrenbürgern, verteilte Bonbons und Blumen in der Fußgängerzone, schüttelte alle greifbaren Hände und lächelte, bis die Wangen
schmerzten. Nach den Wahlen wiederum war man damit beschäftigt, die Bürger von der ganz plötzlich gekippten Haushaltslage und der damit leider unmöglich gewordenen Umsetzung
aller Wahlversprechen in Kenntnis zu setzen.
    Man hatte also genug zu tun, da brauchte man sich die politische Laune nicht auch noch mit kulturellen Überflüssigkeiten zu verderben. »Kunst und Kultur sind die Hofnarren der
Gesellschaft!«, pflegte der Bürgermeister bei allen möglichen Gelegenheiten mit schelmischem Unterton anzubringen. »Die Frage ist nur: Will man ein paar überbezahlte
Clowns oder eine funktionierende Müllabfuhr?«
    Diese Argumentation zog immer. Und der gerade eben noch euphorisch eingebrachte Antrag eines jüngeren Gemeinderatsmitgliedes auf Einrichtung einer Stadtgalerie, eines Literaturhauses oder
eines Konzertsaales wurde einstimmig in die Mülltonne getreten, und man hatte wieder seine Ruhe.
    Im Übrigen war die Stadt ja nicht völlig kulturlos. Ein paar Hofnarren hüpften noch. Zum Beispiel gab es das jährliche Sommerfest, ein politisch legitimiertes
Massenbesäufnis mit bunten Volksmusikgruppen und glitzernden Schlagersängern auf der Freilichtbühne vor dem Rathaus. Außerdem gab es noch das Seniorentanzfestival, das
allerdings darunter litt, dass jedes Jahr mindestens einer der Teilnehmer mit Herzinfarkt oder Schlaganfall aufs Parkett kippte. Und zur

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