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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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musste an Shakespeares Wintermärchen denken. Für einen Moment sah ich
Böhmens König über die verschneiten Ebenen seines Reiches stapfen. Gefolgt von einer Handvoll dumpfer Schäfer. Eine völlig idiotische Handlung im Grunde genommen, aber
mitreißend. Mit unerfüllter Liebe, Eifersucht, Verrat, mit Seestürmen vor Böhmens Küste, mit der Zeit, die persönlich auftritt und einfach sechzehn Jahre
überspringt, einem versoffenen Landstreicher, einem menschenfressenden Bären, und einem Haufen problematischer Königskinder.
    Frau Pawlik begann sich zu rühren, entließ ein krächzendes Stöhnen, gefolgt von einem lang gezogenen, fast melodiösen Ächzen, ruckelte ein paar Sekunden lang ihren
Oberkörper zurecht, sank noch etwas tiefer in sich zusammen und schlief weiter. Grau, klein, schief und bucklig. Und in diesem Moment erkannte ich ihn: König Richard der Dritte! Da
saß er vor mir, der bucklige, lahme Bastard, die entstellte Frühgeburt, dieses traurige Kind von Gemeinheit und Verzweiflung.
    Direkt vor meiner Schere erhob sich eine Haarsträhne, spitz und glänzend wie der Zacken einer Königskrone. Ich säbelte sie ab. Die kleine Unregelmäßigkeit, die
dadurch entstand, glich ich aus, indem ich auch die Strähnen rundherum abschnitt.
    Nebenan fuhr Vaters Kopf ruckartig in die Höhe. Ich sah, wie die Finger seiner linken Hand zuckten, wie er blinzelte und den Mund halb öffnete, scheinbar um etwas zu sagen.
    Tat er jedoch nicht. Die Augen gingen zu, der Mund blieb offen, der Kopf senkte sich wieder. Er schlief.
    Ich schnitt weiter an König Richards Haupt herum. Beziehungsweise meine Hände schnitten. Es war, als ob sich meine Hände, von einer geheimen Lust gepackt, selbständig gemacht
hätten. Sie schienen mit mir nichts mehr zu tun zu haben, verfolgten ihren eigenen Weg. Und ich ließ sie laufen. Ich schloss die Augen. Ein schwerer, süßlicher Geruch lag in
der Luft. Die Orchideen trieben aus. Von draußen drangen gedämpfte Kinderstimmen herein. Die Schule hatte wieder begonnen. Ich lachte halblaut auf. Das war vorbei! Ein für alle Mal.
Die Stimmen zogen am Salon vorbei, wurden leiser, verschwanden.
    Auf einmal merkte ich, dass sich das Scherengeklapper verändert hatte. Es klang jetzt heller. Schärfer. Lauter. Die Klingen schliffen nicht mehr weich aneinander vorbei, sondern
schlugen hart und kraftvoll aufeinander ein. Und jetzt hörte ich das Keuchen der Männer, ihr unterdrücktes Fluchen, das Knirschen ihrer Lederhandschuhe an den um die Degengriffe
verkrampften Fäusten, die Schritte ihrer Stiefel in Veronas heißem Straßenstaub. Es waren Mercutio und Tybalt. Romeos verrückter Kumpel und Julias rauflustiger Cousin.
    Der Kampf war unerbittlich. Tybalt war stärker, Mercutio war schneller. Es war, als ob ein Affe um einen Bullen hopst. Die Haarsträhnen klebten auf den schweißnassen Stirnen, die
sonnengegerbten Nacken glänzten, die Degen zischten mit einem singenden Geräusch durch die Luft. Funken sprühten. Staub wirbelte hoch. Aus den Fenstern der umliegenden Häuser
hingen die Köpfe der Gaffer. Männer brüllten, Frauen kreischten, Kinder quietschten. Alles auf Italienisch natürlich.
    Mercutio hatte sich einen Vorteil erarbeitet, hatte seinen Gegner leichtfüßig ausgetanzt und ein paar Mal böse erwischt. Tybalt schien die Luft auszugehen, schwerfällig
stand er da, den Kopf zwischen die gewaltigen Schultern gepackt, die niedrige Stirn gesenkt wie ein Stier vor dem Todesstoß, und versuchte Mercutios Finten wenigstens mit dem Blick zu
folgen.
    Mit einer wendigen Körpertäuschung brachte Mercutio sich in Position und stach zu. Die Klinge fuhr durch das Oberschenkelfleisch wie durch Butter. Tybalt röhrte auf, knickte ein
und knallte dumpf mit beiden Knien auf den Boden.
    Der Kampf war aus. Ein einziger Schlag, eine gezielter Nackenhieb, ein letzter gerader Stich würde die Sache endgültig beenden. Es war still auf dem Platz. Die Leute schienen den Atem
anzuhalten. Nur Tybalts raues, gebrochenes Keuchen war zu hören. Mercutios Blick flackerte. Der Degengriff unter seinen Fingerknöcheln knarrte leise. Tybalt schloss die Augen und senkte
den Kopf. Da geschah etwas Merkwürdiges. Vielleicht war es die Eitelkeit, die Mercutio dazu trieb. Vielleicht aber auch einfach nur die Dummheit der Sieger. Jedenfalls drehte er sich um. Er
wendete sich seinem Publikum zu, reckte die Brust nach vorne, streckte beide Arme in die Höhe und strahlte übers ganze Gesicht. Der Kerl

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