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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Bühne, Garderobe,
Kostümschneiderei, Kulissenwerkstatt, Toiletten und fünfzehn Stuhlreihen, also für ungefähr hundert Zuschauer. Wenn die Stadt sich dazu hinreißen lasse, einen solchen Raum
zur Verfügung zu stellen, so Janos, würden er und seine Frau Irina höchstpersönlich und eigenverantwortlich für dessen Ausgestaltung und Umwandlung in ein veritables
Theater Sorge tragen, dafür garantiere er mit seinem guten Namen und, wenn es unbedingt sein müsse, auch mit seinem Arsch!
    Der Bürgermeister schluckte. Doch in seinem schlauen Konservativenhirn sausten die Gedanken herum wie Flipperkugeln. Diese beiden Zigeuner in ihren dreckigen Schuhen waren ganz
offensichtlich verrückt. Aber das waren in der heutigen Zeit sowieso alle, nur beanspruchten die meisten auch noch Geld dafür. Die hier nicht. Keine Starthilfe. Keine Subventionen. Keine
Haushaltsbelastungen. Und ein derartiger Raum ließe sich bei den vielen leer stehenden Bruchbuden in der Stadt mit Leichtigkeit auftreiben und mietfrei zur Verfügung stellen. Wenn dabei
schlussendlich vielleicht sogar eine kostenlose Sanierung herauskäme: warum nicht? Hundert Zuschauer bedeuteten immerhin hundert potenzielle Wähler. Und zur Not könnte man die beiden
ja mit polizeilicher Gewalt und asylpolitischer Absicherung wieder dahin treiben, wo sie hergekommen waren. Im Kopf des Bürgermeisters machte es leise Bling! und sein Gesicht strahlte
plötzlich wie eine Jackpot-Lampe.
    Und so wurden nur wenige Tage später den Podgaceks die Räumlichkeiten eines ehemaligen Kartoffellagers im Hinterhof dieser kleinen, dunklen Seitengasse gleich hinter dem Rathaus
zugewiesen.
    Die beiden begannen sofort mit der Arbeit. Sie rissen die alten Böden auf, setzten Dielen ein, kratzten den Dreck von den Wänden, verputzten kleine Risse, vermauerten große
Löcher, flickten Rohre, verlegten Kabel, Fliesen und Teppiche. Ständig hörte man den Handwagen durch die Straßen holpern, beladen mit Ziegeln, Brettern,
Toilettenschüsseln, Fensterrahmen, alten Fetzen, zerschlissenen Kleidern, verstaubten Vorhangsstoffen und insgesamt über einhundert Stühlen in allen möglichen
Größen, Formen und Zuständen.
    Eines sonnigen Nachmittags stieg Janos auf seine kleine Leiter und nagelte das große, von Irina bunt beschriebene Schild über die Eingangstür. Dann stieg er runter, legte den
Hammer in eine Ecke, spuckte die Nägel, die in seinem Mundwinkel hingen, aus, nahm seine Frau an den Händen und begann mit ihr zu tanzen. Es war ein wilder Tanz, den die beiden da
hinlegten, beobachtet von ein paar gardinen-geschützten Nachbarsblicken. Ein rasendes Umeinanderwirbeln, mit schlenkernden Armen und fliegenden Beinen, ohne Musik, nur begleitet vom
aufgeregten Gurren der Hinterhoftauben und den spitzen Jubelschreien Irinas.
    Und bereits am selben Abend fand die Eröffnungsfeier statt.
    Alles, was wichtig war oder sich zumindest wichtig vorkam, strömte an diesem Tag in das neue Theater. Man nahm die von Irina auf einem Tablett angebotenen scharfen Schnäpse und
Kümmelkekse entgegen und sah sich erstaunt um. Der ehemalige Kartoffelkeller hatte sich vollkommen verwandelt. Es gab einen Zuschauerraum für ungefähr hundert Leute, eine Bühne
mit Vorhang und allem Drum und Dran, dahinter Garderoben, Fundus, Werkstatt und Schneiderei. Vieles schien noch ein wenig improvisiert; manches, wie zum Beispiel die Elektrik und die
Warmwasserzufuhr, war überhaupt noch nicht fertig. Aber Warmwasser brauchte an diesem Abend sowieso kein Mensch und das Licht der vielen Kerzen, die überall standen, verbreitete eine
angenehme und sogar etwas geheimnisvolle Stimmung im Raum. Da außerdem der Schnaps auf Irinas Tablett glücklicherweise nie auszugehen schien, wurde die Veranstaltung ein voller Erfolg.
Der Bürgermeister hielt eine Rede. Der Vizebürgermeister auch. Alle applaudierten und danach gab es eine Führung. Die Leute stolperten aufgeregt durcheinanderplappernd in die
Theaterschummrigkeit hinein und Janos erklärte ihnen die Technik, die zwar zu diesem Zeitpunkt nur aus ein paar kalten Scheinwerfern und einem knarrenden Seilzug bestand, aber laut Janos schon
bald das Wunder großer Illusionen zu vollbringen imstande sein werde.
    Plötzlich stand Irina auf der Bühne. In ihren schwarzen Haaren flackerte das Kerzenlicht. Sie schloss die Augen und hob ganz leicht ihre Hände, die Handflächen nach oben
geöffnet. Dann begann sie zu singen. Es war ein ganz leiser, tiefer Ton, nicht

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