Jetzt wirds ernst
Adventszeit lud die Bürgermeistergattin zu ihrem
legendären Punschempfang in den großen Rathaussaal, wo die Kinderblasmusikkapelle, der Kirchenchor und der pensionierte, angeblich einst in gewissen regionalen Radiosendungen recht
bekannte und beliebte Sprecher und Rezitator Harald Tietze ein festlich-besinnliches Programm boten.
Hin und wieder leistete man sich ein öffentliches Kunstwerk, das unter lautstarkem Protestgeschrei an irgendeiner Ecke aufgestellt, und ein paar Wochen und einige Beschwerdebriefe
später unter noch lautstärkerem Jubelgeschrei wieder abmontiert und beseitigt wurde.
Für das Theater blieb da nicht allzu viel Terrain übrig. Die Volkshochschule mit ihrem Kasperltheater war praktisch das Flaggschiff der darstellenden Künste. Zudem gab es den
Theaterverein der ehemaligen Straßenbahnfahrer (ThStrb e.V.), in dessen nunmehr fast fünfzigjähriger Geschichte es allerdings bislang zu keiner einzigen Aufführung gekommen
war, da die Proben regelmäßig in weinselige Erinnerungsarbeit ausarteten. Die wackligen Herren saßen mit ihren vergilbten Uniformmützen auf den Köpfen in der ehemaligen
Straßenbahnremise und sinnierten heftig trinkend über das Rattern, Klingeln und Quietschen ihrer längst verschrotteten Bahnen. Mit dem Theater wollte man sich beim nächsten Mal
auseinandersetzen. Dazu kam es aber nie.
Und schließlich war da noch das Theater im Kellerloch.
Das Theater im Kellerloch lag in einer winzigen Seitenstraße gleich hinter dem Rathaus. Die Gasse war kurz, eng und dunkel. Links und rechts standen ein paar schiefe
Laternen, von denen nur mehr eine einzige ihren schwächlichen Lichtkegel auf das Kopfsteinpflaster fallen ließ. Die Häuser waren abgewrackt und nur noch teilweise bewohnt. Hin und
wieder saß eine rauchende Gestalt an einem der Fenster. Manchmal goss jemand seine Kakteen. Oft hörte man unartikuliertes Gebrüll aus einer der Wohnungen ins Freie dringen. Und
nachts konnte man die Ratten zwischen den Mülltonnen herumhuschen sehen.
Das Theater lag in einem der ältesten Häuser. Man musste einen kurzen, funzelig beleuchteten Gang durchqueren und gelangte auf den Hinterhof. Über einer niedrigen Tür hing
ein großes, buntes Schild: THEATER IM KELLERLOCH. Jeder Buchstabe war in einer anderen Farbe und mit ein paar schlampigen Strichen hingepinselt worden. Neben der Tür war ein kleiner,
beleuchteter Guckkasten mit dem Monatsprogramm angebracht. Ganz oben stand in kritzeliger Füllfederschrift: Auf die Bretter! Ins Licht! An die Rampe! Für Euch! Die Intendanz, Janos und
Irina Podgacek.
Das Ehepaar Podgacek war vor fünfundzwanzig Jahren in die Stadt gekommen. An einem verregneten Aprilvormittag tauchten sie plötzlich am Horizont auf, stapften quer
über den Acker und betraten mit ihren löchrigen Dreckslatschen das saubere Vorstadtpflaster. Janos zog einen hoch beladenen Handwagen hinter sich her, sein Körper war klein,
gedrungen und kräftig, der Rücken gewölbt und breit wie das Heck eines Schiffes, der Kopf braungebrannt, runzlig und völlig kahl. Irina trug einen riesigen Rucksack auf dem
Rücken, sie war ein gutes Stück kleiner als ihr Mann, aber fast ebenso kräftig. Auf ihrem Kopf wucherte das kurze, schwarze Haar nach allen Richtungen, an den Ohren baumelten riesige
goldene Ringe.
Die beiden folgten einfach den Straßenbahnschienen und gelangten so direkt in die Innenstadt. Sie gingen ins Rathaus, grüßten freundlich den Pförtner und marschierten ohne
Weiteres ins Büro des Bürgermeisters. Sie stellten sich mit einem etwas befremdlichen Akzent, doch deutlich verständlich, vor und wollten wissen, ob es denn in der Stadt schon ein
Theater gebe. Wenn es nämlich noch kein Theater gebe, erklärte Janos, seien sie, das Ehepaar Podgacek, bereit, eines zu eröffnen. Ein Theater stehe der Stadt zweifelsohne gut an,
erst das Theater mache eine Stadt überhaupt zu einer Stadt, erst das Theater mache die Menschen überhaupt zu Menschen!
Ehe der Bürgermeister Luft holen konnte, um etwas zu entgegnen oder laut um Hilfe zu schreien, redete Janos schon mit ungebremster Energie weiter. Das Ganze lasse sich im Übrigen
realisieren, erklärte er, ohne der Stadt ans Säckel zu gehen. Das heiße: keine Starthilfe, keine Subventionen, keine Haushaltsbelastungen. Das einzige, was nämlich neben einem
wachen Geist und einem offenen Herzen für ein ordentliches Theater benötigt werde, sei ein passender Ort. Genauer gesagt ein überdachter Raum für
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