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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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unzählige Fotos
und Glückwunschkarten steckten, an den Wänden ein paar elektrische Kerzenleuchter, in einer Nische eine lange Garderobenstange, das war alles. Es war schummrig und still. Ein dicker
Teppich schluckte die Geräusche meiner Schritte. Es roch nach Staub und alten Kleidern. Auf einem der Tischchen lag ein verbeulter Hut, daneben ein riesiger, schwarzer Revolver. Vorsichtig
nahm ich die Waffe hoch. Sie lag seltsam leicht in meiner Hand, viel zu leicht für ihre Größe. Ein Requisit, nichts weiter. Ich legte an, kniff ein Auge zu und zielte auf eines der
Fotos im Spiegel. Es zeigte eine Ziege auf einem alten Holzkarren. Sie hatte eine breite Schärpe um den Hals und in ihrem Fell waren Glöckchen und bunte Bänder eingeflochten. Ihr
blöder Blick ging knapp an der Kamera vorbei und passte überhaupt nicht zu ihrem aufgetakelten Äußeren.
    Ich krümmte den Zeigefinger und knallte sie ab.
    Danach nahm ich mir die anderen Postkarten vor. Einem hoch aufragenden Alpengipfel pulverte ich die Schneekuppe von der Spitze, einem pechschwarzen Jazzmusiker pustete ich die Tuba aus den
Händen, den beiden grinsenden Trachtenmädchen pfefferte ich ihre Mützen von den Köpfen. Ich spürte, wie mein Herz zu rasen begann. Immer erregter schoss ich in den
Landschafts- und Gesichtsidyllen herum. Peng! Bumm! Peng!
    Plötzlich stand dieser Mann da. Klein, kräftig und stumm. Janos. Mit einer einzigen schnellen Bewegung nahm er mir die Knarre aus der Hand und legte sie auf das Tischchen
zurück.
    »Was hast du hier zu suchen?«, fragte er leise und ruhig. Zum ersten Mal hörte ich diesen seltsamen Akzent, der wie eine dunkle Melodie unter seinen Worten lag. Ich hatte ihn
nicht kommen hören, es schien als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht, völlig lautlos.
    »Nichts!« sagte ich.
    »Dann hau ab!«
    Sofort hatte ich den Impuls, zu gehorchen. Einfach abhauen. Davonlaufen. Wegrennen. Nie wieder kommen. Aber auf einmal spürte ich etwas im Nacken. Knapp unter dem Haaransatz hatte sich
plötzlich etwas festgesetzt und eingekrallt. Und das breitete sich jetzt aus. Weitete mir den Brustkorb, zog mir das Kreuz auseinander, und quetschte meine Arschbacken zusammen, dass es nur so
knackste im Steißbein. Das war die Sturheit.
    »Nein!«, sagte ich. »Ich werde nicht abhauen!«
    Janos hob die Augenbrauen. Seine Augen funkelten. Ein kurzes, überraschtes Aufleuchten.
    »Ich will nämlich Schauspieler werden!«, fügte ich schnell hinzu.
    Eine Stille breitete sich im Foyer aus, unendlich lange und bedrückend. Nur die Plastikknarre auf dem Tischchen knackste ganz leise.
    »Gut«, sagte Janos. »Komm mit!« Er drehte sich um, ging zu der Garderobennische und öffnete eine unauffällige Tapetentür. Über einen kurzen, dunklen
Gang gelangten wir in einen völlig schwarzen Raum, der hinten von ein paar bemalten Sperrholzplatten und vorne von einem schweren Vorhang begrenzt war. Hoch oben in der Dunkelheit unter der
Decke waren schemenhaft Metallverstrebungen und die Umrisse von Scheinwerfern zu erkennen. Ein eigenartiger Geruch hing in der Luft. Staub. Holz. Farbe. Schweiß. Der Boden unter meinen
Füßen knarrte. Ich musste an das schweißgetränkte Turnhallenparkett in der Schule denken. Obwohl es hart war, federte es doch die Schritte ab.
    »Gibt’s hier keinen Lichtschalter, oder so?«, fragte ich und bemühte mich, möglichst viel Gelassenheit und vielleicht sogar noch eine Spur von ironischem Witz
durchschimmern zu lassen. Aber meine Stimme hörte sich seltsam an. Ihr fehlte die Reichweite. Es war als ob die Dunkelheit meine Worte einfach schluckte.
    Außerdem antwortete niemand. Janos war weg. Genauso unvermittelt und geräuschlos wie er vorhin aufgetaucht war, war er jetzt wieder verschwunden. Ich stand alleine in diesem schwarzen
Loch.
    Plötzlich ein Geräusch. Ein Surren. Ein Rascheln. Ein leises Rauschen. Der Geruch veränderte sich, das Raumklima kippte. Staub flirrte. Ein kühler Luftzug wehte mir ins
Gesicht. Es war, als ob sich der ganze Raum öffnen würde.
    Und das tat er auch. Ich kapierte, dass der Vorhang aufgegangen war. Nun war es wieder still. Ich blinzelte in den Zuschauerraum hinaus, konnte aber kaum etwas erkennen. Schemenhaft ragten die
Stuhllehnen in die Dunkelheit. An einer Wand schimmerte ein kleines grünes Notausgangslicht, wie die Laterne eines unerreichbar weit entfernten Rettungsbootes mitten auf nachtschwarzer See.
Ich machte einen zögerlichen Schritt nach vorne, das Knarren der

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