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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Bretter hörte sich jetzt anders an. Überhaupt schienen jetzt alle Geräusche, die ich fabrizierte, kraftvoller zu
klingen und weiter zu tragen, wie befreit.
    Dann das Licht.
    Es war, als ob die Sonne persönlich eine rechte Gerade ausgefahren hätte. Ein Volltreffer, genau zwischen die Augen. Ich taumelte ein paar Schritte in den Bühnenhintergrund
zurück und kriegte nur mit Mühe die Augen wieder auf. In der ersten Reihe saß Janos. Er hatte die Hände hinter dem Nacken verschränkt, seine Beine auf den Bühnenrand
gelegt und sah zu mir hoch.
    »Fang an!«, sagte er.
    »Mit was denn?«, fragte ich vorsichtig.
    »Du willst Schauspieler werden – also spiel!«
    Ich fühlte, wie sich alles in mir zusammenkrampfte und ich zu völliger Bewegungslosigkeit erstarrte.
    »Was ist? Wir haben nicht ewig Zeit!«, sagte Janos. Seine Fußspitzen wippten ungeduldig auf der Bühnenkante.
    Ich gab mir einen Ruck und stakste auf wackeligen Beinen wieder nach vorne. In der Mitte der Bühne blieb ich stehen, genau im Scheinwerferkegel.
    »Ich könnte vielleicht … den Lehrer … aus der Möwe … Tschechow …«, stammelte ich.
    »Fang an!«, knurrte Janos.
    Ich kam mir idiotisch vor. Ein Trottel mit schweißnassem Rücken, erbärmlich und voller Angst. Aber ich fing an.
    »Warum gehen sie eigentlich immer in Schwarz?«, fragte ich schüchtern in die Leere des Raumes hinein.
    »Lauter!«, brüllte Janos in der ersten Reihe.
    »Entschuldigung«, sagte ich erschrocken und räusperte mich. Der Bühnenstaub machte mir zu schaffen.
    »Warum gehen sie eigentlich immer in Schwarz?«, sagte ich etwas lauter.
    Keine Antwort. Natürlich nicht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie gedacht, dass ich Tinka eines Tages vermissen würde. Glücklicherweise kam mir der geistesgegenwärtige
Gedanke, ihre Rolle einfach mit zu übernehmen. Also sprang ich einen Meter zur Seite und drehte mich um.
    »Aus Trauer um mein Leben. Ich bin unglücklich«, sagte ich mit weinerlicher Fistelstimme und sprang wieder zurück.
    »Warum?«, fragte ich als Lehrer »Ich verstehe das nicht … Sie sind gesund, und ihr Vater ist zwar nicht reich, aber doch nicht unvermögend. Da habe ich es um
einiges schwerer als Sie. Ich bekomme alles in allem dreiundzwanzig Rubel im Monat, und davon geht noch etwas für die Altersversorgung weg, und trotzdem trage ich keine Trauer.«
    Sprung hinüber.
    »Um das Geld ist es mir nicht zu tun«, säuselte ich. »Auch ein Armer kann glücklich sein.«
    Und wieder ein Hopser zurück. Und so weiter. Ich sagte die kompletten Dialoge zwischen Medwedenko und Mascha auf, indem ich zwischen den beiden Rollen möglichst schnell hin- und
herhüpfte, um nur ja keine ungefüllten Pausen entstehen zu lassen.
    Schließlich war ich fertig. Schwer atmend blieb ich stehen und sah erwartungsvoll in den Zuschauerraum. Janos saß eine Weile regungslos da und starrte mich an. Dann wippten seine
Fußspitzen wieder.
    »Dieser Lehrer«, fragte er, »was ist das für ein Kerl?«
    »Weiß nicht«, sagte ich. »Irgendein Lehrer halt …«
    » Irgendein Lehrer reicht nicht!«, schnauzte er mich an. »Du brauchst einen Lehrer, du brauchst deinen ganz speziellen Lehrer!«
    Ich schaute hilflos auf den Boden hinunter. Das Holz war ausgetreten, zerkratzt und rissig, überall blätterte die schwarze Farbe ab. In der ersten Stuhlreihe hörte ich Janos
ungeduldig seufzen.
    »Was unterrichtet er?«, fragte er.
    »Vielleicht … äh … Mathe …«, stammelte ich. In diesem Moment musste ich an unseren Mathematiklehrer Hahnbüttel denken, einen alten,
aufgedunsenen Mooskopf mit Lungenproblemen und schlechtem Atem.
    »Oder lieber doch Geometrie …«, schob ich schnell hinterher. »Oder nein … er ist Zeichenlehrer! Genau! Zeichnen, Malen, Töpfern und so!«
    Janos nickte zufrieden.
    »Gut, weiter!«
    »Was weiter?«
    »Er zeichnet also. Was zeichnet er? Hühner? Abstrakte Formen? Nackte Weiber? Wen unterrichtet er? Kinder von Großgrundbesitzern? Kinder von analphabetischen Bauern? Kleine
Kinder? Große? Dicke? Behinderte? Wie weit ist es bis zur nächsten Schule? Muss er einen halben Tag über dreckige Felder latschen, um dorthin zu gelangen? Man muss bedenken, wir
sind in der russischen Einöde! Regen! Schnee! Sturm! Matsch! Im Winter eisige Kälte! Im Sommer Mücken! Eine Trilliarde Mücken auf jeden Eimer Luft! Ist sein Gesicht zerstochen?
Hat er aufgekratzte Pusteln auf der Wange? Eiterbeulen im Nacken? Furunkel im Arsch? Sind seine Hände

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