Jhereg
sogar Theorien, die behaupten, daß Ostländer gar nicht auf Dragaera entstanden sind, sondern von den Jenoine von irgendwo hergebracht wurden, weil sie eine Kontrollgruppe für ihre Tests benötigten.«
»›Kontrollgruppe‹?«
»Ja. Sie haben den Ostländern psionische Fähigkeiten gegeben, die denen der Dragaeraner gleichen, wenigstens fast. Dann haben sie mit den Dragaeranern herumexperimentiert und sich angeschaut, was die beiden Rassen einander antun würden.«
Mich durchlief ein Schaudern. »Soll das heißen, diese Jenoine sind womöglich immer noch da, beobachten uns –«
»Nein«, sagte sie knapp. »Sie sind fort. Nicht alle sind vernichtet worden, aber sie kommen nur noch selten nach Dragaera – und wenn sie es tun, können sie nicht mehr wie früher über uns bestimmen. Sethra Lavode hat vor ein paar Jahren übrigens noch gegen einen gekämpft und ihn vernichtet.«
Meine Gedanken gingen zurück zu meinem ersten Zusammentreffen mit Sethra. Da hatte sie ein wenig besorgt gewirkt und gesagt: »Ich kann den Dzurberg gerade nicht verlassen.« Und später dann hatte sie erschöpft ausgesehen, so als hätte sie einen Kampf überstanden. Damit löste sich ein weiteres altes Rätsel auf.
»Wie sind sie vernichtet worden? Haben die Dragaeraner sich gegen sie aufgelehnt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie hatten neben der Genetik auch noch andere Interessen. Eines davon war das Studium des Chaos. Wahrscheinlich werden wir nie genau erfahren, was passiert ist, aber die Grundzüge sind, daß ein Experiment außer Kontrolle geraten ist, oder auch ein Streit unter ihnen aufkam, oder sonst irgend etwas, und Wumm! Wir haben ein großes Meer des Chaos, ein paar neue Götter und keine Jenoine mehr.«
Soviel zu meiner Geschichtsstunde für heute. Dennoch konnte ich mein Interesse nicht verhehlen. Zwar war es nicht wirklich meine Geschichte, aber nichtsdestotrotz faszinierte sie mich. »Das hört sich verdächtig nach dem an, was in kleinerem Maßstab vor ein paar Jahren mit Adron geschehen ist. Du weißt schon, das Ding, welches das Meer des Chaos im Norden erschaffen hat, das Interregnum … Aliera?«
Sie sah mich merkwürdig an und sagte gar nichts.
Da ging mir ein Licht auf. »Ey!« rief ich. »Das ist also präimperiale Zauberei! Die Zauberkunst der Jenoine.« Ich unterbrach mich, weil mich ein erneuter Schauer durchlief, als mir die Tragweite dieser Erkenntnis klar wurde. »Kein Wunder, daß das Imperium es nicht mag, wenn Leute sich damit befassen.«
Aliera nickte. »Um ganz genau zu sein, prä-imperiale Zauberei ist die direkte Manipulation des rohen Chaos – man formt es nach seinem Willen.«
Ein weiteres Mal erschauerte ich. »Das klingt aber ziemlich gefährlich.«
Darauf antwortete sie nicht mehr. Klar, daß sie es ein wenig anders sah. Alieras Vater war nämlich, wie ich erfahren hatte, kein Geringerer als Adron selbst, der versehentlich die alte Stadt von Dragaera in die Luft gejagt und an ihrer Stelle ein Meer aus Chaos hinterlassen hatte.
»Hoffentlich«, sagte ich, »plant Morrolan nicht noch so eine Nummer, wie dein Vater sie damals gemacht hat.«
»Das könnte er gar nicht.«
»Warum nicht? Wenn er diese Art der Zauberei verwendet …«
Sie zog eine niedliche Grimasse. »Dann korrigiere ich, was ich eben gesagt habe. Prä-imperiale Zauberei ist nicht ganz direkte Manipulation des Chaos; es ist ein Schritt davor. Direkte Manipulation ist wieder etwas anderes – und zwar das, was Adron getan hat. Er hatte die Fähigkeit, Chaos zu benutzen, ja sogar zu erschaffen. Wenn man das mit dem Wissen der prä-imperialen Zauberei verbindet …«
»Und Morrolan hat nicht die Fähigkeit, Chaos zu erschaffen? Der Ärmste. Wie kann er ohne sie leben?«
Da mußte Aliera lachen. »Das ist keine Fähigkeit, die man erlernen kann. Sie geht wiederum auf die Gene zurück. Soweit ich weiß, besitzt lediglich die e’Kieron-Linie des Hauses der Dragon die Fähigkeit – obwohl man sagt, daß Kieron selbst sie nie benutzt hat.«
»Ich frage mich«, sagte ich, »wie genetische Vererbung mit der Wiedergeburt der Seele zusammengeht.«
»Auf seltsame Weise«, sagte Aliera e’Kieron.
»Oh. Wie dem auch sei, damit wäre erklärt, wo die Häuser von Dragaera herkommen. Es überrascht mich, daß die Jenoine ihre Zeit damit verschwendeten, den Dragaeranern ein Tier wie den Jhereg einzuzüchten«, meinte ich.
»Den kriegst du zurück, Boß.«
»Schnauze, Loiosh.«
»Oh«, sagte Aliera, »aber das haben sie gar
Weitere Kostenlose Bücher