Jillian Hunter
war."
Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Woher weißt du das?"
„Ich habe Brandons Handschrift erkannt, und nun, ich ha- be eine Kopie angefertigt, um den Brief zu entschlüsseln. Er scheint sich auf irgendetwas zu beziehen, was der Colonel ge- plant hat. Ich werde dir die Übersetzung geben, wenn ich da- mit fertig bin."
„Du bist eine erstaunliche Frau, Chloe."
„Und es wird mir erstaunlich schlecht gehen, wenn dir ir- gendetwas zustoßen sollte. Warum erlaubst du mir nicht, dich bei der Konfrontation mit Sir Edgar zu unterstützen?"
„Nein."
„Soll ich einfach danebensitzen und nichts tun?"
„Wenn Adrian und mir etwas zustößt, wird es an dir sein, deine Brüder mit der Sache zu betrauen."
Ihr Herz setzte einen Schlag aus. „Was hast du vor?"
„Ich will meinen Onkel davon überzeugen, das Richtige zu tun."
„Und wenn er sich weigert?"
„Ich werde tun, was ich tun muss."
Sie riss sich los. Ihre blauen Augen wirkten gleichzeitig wü- tend und traurig. Bei einer anderen Frau hätte das Feenkos- tüm mit den Flügeln luftig und ätherisch ausgesehen. Aber Chloe ähnelte eher einer römischen Göttin, die gerade einen Krieg anzetteln wollte. Sie erschien ihm eher stark als unwirk- lich. Ihre Zerbrechlichkeit war nur oberflächlich. Sie war die Art von Frau, die irgendein sauertöpfischer alter Earl liebend gerne verwöhnt, verhätschelt und an seinem Arm herumge- zeigt hätte. Bei dem Gedanken wurde Dominic übel. Er wollte
sie nicht an einen anderen Mann verlieren. Er wollte trium- phieren und sie für sich selbst einfordern.
Ein letztes Mal zog er sie von der Tür weg und nah zu sich hin. „Ich werde kommen und dich holen", versprach er mit funkelnden grauen Augen. „Auf die eine oder andere Art. Küsse nie wieder jemanden hinter Kutschen oder in Eingangs- hallen. Bleibe mein auf ewig. Ich werde kommen."
Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihr Gesicht war blass. Er hatte das eigenartige Gefühl, dass sie ihn ohrfeigen wollte. „Wenn du zurückkommst", flüsterte sie und zog einen ihrer ziemlich ruinierten Flügel hoch, „sorge nur dafür, dass du kein Geist bist."
21. KAPITEL
Als Chloe wieder aus dem Zimmer kam, stellte sie fest, dass der Empfangssaal immer noch voller Menschen war, die nicht tanzen wollten und es vorzogen, bei einem Glas Limonade ei- nen Plausch zu halten. Die Musikanten hoben gerade zu einem neuen Stück an, aber nach dem, was sie eben mit Dominic er- lebt hatte, verspürte Chloe keinerlei Bedürfnis, im Tanz herum- gewirbelt zu werden. Sie fühlte sich ohnehin schon ziemlich benommen. Stattdessen sehnte sie sich danach, alleine zu sein, um über das nachzudenken, was zwischen ihnen geschehen war. Sie musste sich beruhigen - und bereit sein, falls er sie brauchte, um die Sache mit seinem Onkel zu Ende zu bringen. Vielleicht hätte sie sich mehr Gedanken um den Verlust ih- rer Tugend und ihrer Zukunft als gefallene Frau machen sol- len. Aber das tat sie nicht. Was geschehen war, war geschehen. Sie wollte sich nur eine Weile hinsetzen und jedes dekadente Detail noch einmal durchleben, bevor sie damit begann, sich Sorgen zu machen, was ihm zustoßen könnte. Würde dies der Abend sein, an dem er Sir Edgar endlich entgegentrat? Was würde er tun, wenn der tatsächlich einen Verbündeten hatte, der ihm wartend zur Seite stand? Was, wenn Dominic und sein Freund versagten? Bei dem Gedanken schnürte sich ihr die Kehle zu.
„Nun", murmelte eine Frau, die Chloe von hinten anrem- pelte, „meine Mama sagt, dass es keine tugendhafte Frau mehr im Dorf gäbe, wenn es nach dem Geist von Stratfield ginge."
Chloe seufzte wehmütig und rückte die Flügel an ihren Schultern zurecht. Wenn es nach ihr ginge, wären Dominics Tage als Geist bald für immer zu Ende, und er würde seine Laster nur noch bei einer einzigen Frau ausleben.
„Ich glaube nicht, dass es überhaupt einen Geist gibt", ver- kündete ein übellauniger Herr laut. „Ich glaube, das Ganze ist nichts als ein weibliches Hirngespinst. Was meinen Sie da- zu, Lady Chloe?"
Chloe wandte sich zu dem unbekannten roten Gesicht um. Sie kannte nicht einmal den Namen des Mannes. Er war einer von Justins Bekannten, und dabei fiel ihr ein, dass sie den gan- zen Abend nicht mit Justin getanzt hatte. Er hatte sie vollkom- men ignoriert. Nicht, dass es ihr etwas ausmachte. Sie hatte nicht einmal darüber nachgedacht, bis ...
„Ah, da bist du also, Chloe." Sie blickte auf und sah ihren Onkel, der aus dem Erfrischungsraum kam
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