Jillian Hunter
und sich durch die Menge drängte. „Ich hatte mich schon gefragt, wohin du verschwunden bist."
„Ich war hier", sagte sie vage und blickte an ihm vorbei.
„Hier?"
„Nun." Oh, wie sie es hasste zu lügen! „Ich wollte meinen Fächer holen. Ich dumme Gans. Er hing die ganze Zeit über an meinem Handgelenk."
Seine sanften Augen blickten sie nachdenklich an. „Du dumme Gans."
„Ja." Ihr Puls raste. „Ich dumme Gans."
„Hatte Lady Dewhurst Erfolg dabei, den Geist zu bannen?", fragte ein weiterer Gast grinsend.
Sir Humphrey wandte sich von Chloe ab, um zu antworten, und sie verspürte eine tiefe, wenn auch vorübergehende Erleich- terung. Zwar hatte er vielleicht bemerkt, dass ihre Antwort selt- sam gewesen war, aber er würde sie nicht weiter bedrängen. Chloe war dankbar dafür. Sie hasste es, jemanden anzulügen, der so freundlich zu ihr gewesen war wie ihr Onkel.
Er legte eine Hand auf ihren Arm. „Lass mich dir ein Glas Limonade holen, Chloe. Du wirkst ein wenig erhitzt."
Gütiger Himmel. Wenn er nur wüsste, warum. So freundlich war er auch wieder nicht, dass er akzeptieren würde, was sie und Dominic getan hatten. Sie wäre lieber gestorben, als ihm Leid zuzufügen und ihren einzigen Verbündeten in diesem Haushalt zu enttäuschen.
„Limonade wäre großartig, Onkel ..."
Sie erstarrte. Gerade hatte sie bemerkt, dass Sir Edgar aus
der Garderobe kam. Er trug schwarze Abendkleidung und ein strahlend weißes Leinenhalstuch, offensichtlich hatte ihm nie- mand mitgeteilt, dass dies ein Maskenball war. Vielleicht aber hielt er es auch für unter seiner Würde, in einem Kostüm zu erscheinen. Andererseits, dachte sich Chloe, war seine ganze Persönlichkeit nur eine Fassade. Er war ein herzloser Mörder, der sich als Ehrenmann verkleidete, ein Gentleman mit den Instinkten der Gosse.
Ihr Herz schlug heftig, während sie beobachtete, wie Sir Edgar sich in dem Raum umblickte und nacheinander jedes der maskierten Gesichter studierte. Hatte er herausgefunden, dass Dominic noch lebte? Dass er heute hier war? Oder war sein geheimnisvoller Freund bei ihm? Es schien nicht sehr wahrscheinlich, dass der Colonel seine geheimen Geschäfte an einem Ort wie diesem abwickeln würde. Falls er in die Rich- tung der Abstellkammer ging, in der sie Dominic zurückgelas- sen hatte, sollte sie dann versuchen, ihn aufzuhalten?
Sie spürte, wie ihr Onkel ihren Arm fester umklammerte. Verwirrt blickte sie zu ihm auf.
„Lass uns diese Limonade holen, Chloe", sagte er ruhig.
Sie nickte und schaute Sir Edgar nach, wie er im Ballsaal ver- schwand. Eine schlanke Gestalt im Umhang, die in einer Ecke stand, hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. Ihr wurde heiß, als ihr bewusst wurde, dass Lord Wolverton die Maskerade wie- der aufgenommen hatte. Der Viscount blickte sie unverwandt an und nickte kaum merklich, dann lächelte er freundlich zu der Traube plappernder Damen hinab, die ihn umgab.
War dieses Nicken seine Art, ihr mitzuteilen, dass Dominic wieder versteckt und in Sicherheit war? Ja. Auch er musste Sir Edgar gesehen haben. Er hätte nicht dort gestanden und auf so unerhörte Weise mit all diesen Frauen kokettiert, wenn er um das Wohlergehen seines Freundes gefürchtet hätte.
Sie konnte nur beten, dass der Rest von Dominics Plänen ebenso gut aufging.
Beruhigt wandte sie sich wieder ihrem Onkel zu. „Limo- nade, ja, genau das brauchen wir."
Er starrte sie einige Sekunden lang an, bevor er sie in den Erfrischungsraum führte. „Es tut gut, zu sehen, dass du wie- der glücklich bist, Chloe. Wir alle haben uns in der letzten
Woche Sorgen um dich gemacht. Dieser Tanz scheint dir un- endlich gutgetan zu haben."
Sie tanzte nicht noch einmal mit dem Viscount. Er war den Rest des Abends von weiblichen Bewunderern umgeben, was sie als gutes Zeichen wertete. Sicherlich hätte er nicht so ent- spannt gewirkt, wenn der Verbündete des Colonels angekom- men wäre. Sir Edgar hatte sich gerade mit dem Pastor unter- halten, als Chloe den Ball verlassen musste.
Weder sie noch Lord Wolverton machten einen weiteren Ver- such, miteinander ins Gespräch zu kommen. Es wäre nicht klug gewesen, Aufmerksamkeit darauf zu ziehen, dass es eine Verbindung zwischen ihnen gab. Sie kannte ihn nicht, sie hat- te sein Gesicht noch nicht einmal ohne Maske gesehen, aber er war ein Mann, dem es spielend gelang, dass Frauen sich in seiner Gegenwart beschützt, verteidigt und sicher vor jeder Gefahr fühlten.
Vielleicht lag das daran, dass er sein
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