Jillian Hunter
wer hätte gedacht, dass sie ein langweiliges Dorf namens Chistlebury so sehr ver- missen könnte?
Sie hatte sich angekleidet und war dann vor Erschöpfung eingeschlafen, nachdem das Dienstmädchen ihr Tee und zahl- lose Briefe von alten Freunden und Bewunderern heraufge- bracht hatte. Etwa eine Stunde später öffnete sie die Augen und stellte fest, dass Heath, Drake, Devon und Grayson um ihr Himmelbett saßen und geduldig warteten, bis sie aufwachte.
Gegen die Kissen gelehnt, setzte sie sich auf und blickte nacheinander in jedes ihrer gut aussehenden Gesichter. Die vier waren sich so ähnlich, und doch war jeder für sich voll- kommen einzigartig. Sie seufzte. „Vier Ecken hat mein Bett. Vier Teufel sitzen an meinem Kopf."
Heath lachte. „Teufel, denen du viel bedeutest, möchte ich hinzufügen."
„Und dieser Teufel mag es gar nicht, wenn du ihn nicht ins
Vertrauen ziehst", sagte Devon sanft.
Sie drückte ihr Gesicht in das Kissen. „Teufel oder Engel, was macht das schon? Es hätten fünf sein sollen."
Sie meinte Brandon. Den abenteuerlustigen Bruder, den sie verloren hatten und um den sie erst jetzt richtig trauern konnten. Die Wahrheit hatte etwas Heilendes, ganz egal, wie schmerzhaft es war, ihr ins Auge zu blicken. Die Fami- lie konnte stolz auf Brandons Mut sein. Die fehlenden Puz- zlestückchen seines jungen Lebens konnten nun an den rich- tigen Platz gestellt und als Ganzes betrachtet werden. Sein Tod war immer noch ungerecht, aber wenigstens wussten sie jetzt, warum er gestorben war und wer die Schuld daran trug. Am vergangenen Abend hatten sie gemeinsam über Brandons verschlüsselten Brief und seine Hingabe gesprochen und ge- schworen, dass er nie in Vergessenheit geraten würde.
„Ich möchte wieder zurück", verkündete sie und blickte wieder nacheinander jeden einzelnen ihrer Brüder an.
Drake schüttelte den Kopf. „Chistlebury wird nie wieder so sein wie früher. Die Zeitungen berichten bereits darüber."
„Ich werde auch nie wieder dieselbe sein", erklärte Chloe. „War Dominic schon hier?"
„Ich glaube", erwiderte Grayson vorsichtig, „es wäre viel- leicht eine gute Idee, wenn du ihn einen Monat lang nicht siehst oder", bei dem panischen Blick in Chloes Augen hielt er abrupt inne, „oder vielleicht auch nicht. Ich hatte keine Ah- nung, dass du so starke Gefühle für ihn hegst."
„Ist Leidenschaft nicht auch eine Familieneigenschaft?", fragte sie und sah ihm geradewegs in die Augen.
Grayson schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht leugnen. Aber Chloe, findest du nicht, dass du wenigstes einmal unse- ren Rat befolgen solltest, wenn es um deine Verehrer geht?"
„Du hast in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal eine schlechte Wahl getroffen", fügte Drake hinzu. Seine blauen Augen wirkten eher belustigt als tadelnd.
„Ihre allererste Liebe war unser alter Butler", sagte Devon amüsiert. „Der arme Kerl konnte kaum das Silber polieren, ohne dass Chloe ihm an den Beinen hing."
„Emma möchte, dass du dich mit einem deiner glühends- ten Verehrer im Garten triffst", verkündete Grayson sanft.
„Er..."
Chloe richtete sich im Bett auf. „Nein. Ganz entschieden nein. Keine Verehrer."
„Er ist ein alter Freund der Familie", sprach ihr ältester Bruder weiter. „Ja, wir wissen, dass du deinem geliebten Geist von Stratfield den Vorzug gibst, aber dieser Mann ..."
„Er ist alt", widersprach Chloe. „Ihr wollt, dass ich ein Fos- sil heirate. Er ist wirklich alt."
Drake grinste. „Uralt."
„Eigentlich ist er schon beinahe wie eine dieser ägyptischen Mumien", meinte Devon mit einem vielsagenden Grinsen. „Er hat all seine lebenswichtigen Organe in Einmachgläsern mit- gebracht."
Mit gerunzelter Stirn musterte Chloe ihre vier betont un- schuldig dreinblickenden Brüder. „Welche Farbe haben seine Augen?"
Heath zuckte mit den breiten Schultern. „Es war schwer, das hinter den dicken Brillengläsern zu erkennen."
„Wenigstens hat er noch alle Zähne", meinte Grayson.
Drake nickte. „In der Tat. Er beschwerte sich darüber, wie teuer es war, sie anfertigen zu lassen."
„Ist Chloe schon bereit, nach unten zu kommen?", rief Jane aus der Tür. Offensichtlich wusste sie nichts über die Unter- haltung, die gerade im Raum stattfand.
Chloe schwang sich aus dem Bett. „Würdest du mir bitte pa- cken helfen, Jane? Ich brenne durch. Ich werde dir meine neue Adresse schicken, sobald ich eine habe. Falls Dominic sich die Mühe macht, mich zu suchen,
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