Jillian Hunter
vermutlich geehrt füh- len. Justin scheint zu glauben, dass er ein wenig zu gut für die jungen Damen in Chistlebury ist."
„Warum trägst du das Korsett nicht unter deinem Sonn- tagskleid?" Chloe stützte sich auf einen Ellbogen. Sie musste wirklich verzweifelt sein, wenn ihre einzige Ablenkung da- rin bestand, ihre Cousine zu modischen Extravaganzen zu überreden. „Himmel, Pamela, ich glaube, du musst es ein we- nig tiefer tragen. Du sollst damit doch nicht die Größe deines Kinns hervorheben!"
„Tiefer? Aber wie soll man denn seinen ... hm ... Busen hi- neinkriegen?"
„Es sieht kompliziert aus, aber der Schnitt ist wirklich schmeichelhaft für die Figur." Chloe setzte sich langsam auf und erschauerte erneut ohne Grund. Es war wieder typisch für sie, genau jetzt krank zu werden, wo Justin erwähnt hatte, dass möglicherweise Ende der Woche eine Bootspartie stattfin- den würde. „Als ich es zum ersten Mal anzog, hat meine Zofe mich so eingeschnürt, dass meine eine Hälfte drin war und die andere draußen. Ich sah aus wie eine dieser Amazonen, die sich eine Brust abgeschnitten haben, um besser mit dem Bogen schießen zu können."
Pamela wurde über und über rot. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, Chloe Boscastle, aber ich habe den Ver- dacht, dass du dich über mich lustig machst."
„Das tue ich nicht, ehrlich."
Die beiden jungen Frauen schwiegen und seufzten, weil Tante Gwendolyn vom unteren Ende der Treppe nach Pamela rief.
„Nun", sagte Pamela, „das war's für mich für heute Abend." Sie warf Chloe das Korsett zu. „Und ich habe noch nie von Amazonen gehört, aber wenn sie mit ihren Brüsten auf ihre Verehrer schießen, ist das vielleicht auch besser so."
Sie rauschte mit einem solchen Lachanfall aus dem Zim- mer, dass die Bienenwachskerzen auf der Kommode ausgin- gen. Die Flammen erstarben mit geisterhaft flackernden Rauchschwaden.
Chloe glitt vom Bett und starrte in die rauchigen Schatten des dunklen Raumes. Ihr war kalt, und sie fühlte sich sehr ver- lassen. Sie atmete den Duft des geschmolzenen Wachses ein. Bestimmt hatte sie sich mit irgendeinem schrecklichen Leiden angesteckt.
In der Stille erklang ein weiteres, klagendes Stöhnen, und dieses Mal gab es keinen Zweifel: Das Geräusch kam aus dem Inneren ihres eigenen Ankleidezimmers.
Chloe war eine junge Dame, die in der Stadt aufgewachsen war. Sie hatte nicht die geringste Ahnung davon, wie man auf einem ländlichen Anwesen mit praktischen Dingen umging. Es interessierte sie auch nicht. Aber eines war ihr klar, trotz
ihrer vollkommenen Ahnungslosigkeit in Bezug auf das Land- leben. Das klagende Geräusch, das gerade eben von hinter der Tür ihres Ankleidezimmers ertönt war, war nichts, was ein ros- tiges Tor verursachen konnte.
Dominic kam wieder zu Bewusstsein und stöhnte vor Schmerz protestierend auf. Die Frauenstimme war bis in die Tiefen sei- nes Deliriums vorgedrungen und hatte ihn an eine Zeit erin- nert, als er die einfachen Freuden des Lebens genossen hatte. Als er der Berührung einer Frau vertraut hatte. Er fragte sich, wo er die Stimme schon einmal gehört hatte, und dachte kurz darüber nach, wo, zur Hölle, er war, bevor seine Erinnerung wieder zurückkehrte. Gütiger Himmel, er war mit etwas be- deckt, das er vage als Frauenwäsche ausmachen konnte. Er versuchte, sich vom Boden der Truhe hochzuziehen. Sei- ne würdelose Position erinnerte ihn daran, wie er erst vor ein paar Wochen in einem Sarg posiert und sich tot gestellt hatte. Das einzig Offensichtliche war in diesem Augenblick jedoch die Tatsache, dass er fiebrig und irrational war. Es gab keine andere mögliche Erklärung für die Worte, die in seinen Gedan- ken widerhallten.
„Als ich es zum ersten Mal anzog, hat meine Zofe mich so eingeschnürt, dass meine eine Hälfte drin war und die andere draußen. Ich sah aus wie eine dieser Amazonen, die sich eine Brust abgeschnitten haben, um besser mit dem Bogen schie- ßen zu können."
Er runzelte die Stirn und kämpfte gegen die Anziehungskraft dieser Stimme an, bevor er sich in einem Wirbel parfümierter Unterröcke auf die Beine zog. Einen Augenblick lang stand er bebend und orientierungslos da und starrte die Tür an. Voller bitterer Ironie wurde ihm bewusst, dass die lebensgefährlichen Wunden, die sein Mörder ihm vor einem Monat beigebracht hatte, tatsächlich noch seinen Tod bedeuten könnten.
Jetzt erinnerte er sich wieder. Er war früher am Abend von dem Mann gejagt worden, den er als
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