Jillian Hunter
Verzweiflung. An den süßen Schauer dieses Kus- ses würde sie sich ihr ganzes Leben lang erinnern. Sie rang nach Luft.
„Warum?", flüsterte er und hielt sie fest, als wäre sie ein Ret- tungsanker, der ihn bei Verstand hielt. Er gönnte ihr nur eine winzige Atempause, bevor er seine Zunge erneut in die zarte Höhle ihres Mundes tauchte.
Jeglicher vernünftige Gedanke schien unmöglich, als er mit den Händen über ihren Rücken strich, den Bogen ihrer Wirbel- säule und die Umrisse ihres Pos durch ihren Mantel hindurch liebkoste. Bei ihren früheren Tändeleien hatte sie stets das Gefühl gehabt, die Kontrolle zu besitzen, selbst Herrin ihres Schicksals zu sein. Nun hatte sie die Kontrolle verloren. Die gefährliche Härte seines Körpers stützte und schwächte sie zugleich.
Wie aus weiter Ferne hörte sie sein leises Stöhnen. Nie zu- vor war sie so geküsst worden - oder so berührt worden. Ein Regentropfen fiel auf ihre Wange und lief ihren Hals hinunter. Er leckte ihn auf, und die Berührung seiner Zunge ließ ihren Körper erschauern.
„Sie sollten nicht alleine ausgehen", sagte er und küsste sie noch einmal. Seine sinnliche, raue Stimme ließ sie beinahe auf die Knie sinken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und der Puls dröhnte in ihren Ohren.
„Warum nicht?", flüsterte sie neckend. Sie wollte ihm nicht zeigen, wie sehr sie mit sich rang, um nicht noch weiterzuge- hen.
Mit einem Lächeln zog er sich von ihr zurück. „Dies ist ein kleines Dorf." Seine Stimme klang nun wieder unbeteiligt. Vielleicht hatte sie sich die Hitze zwischen ihnen nur eingebil- det. Bevor sie sich auch nur bewegen konnte, war er bereits aufgestiegen und hatte sein Pferd in die entgegengesetzte Richtung gelenkt. „Und doch gibt es auch hier Gefahren, die eine hübsche junge Frau, die Schwierigkeiten anzuziehen scheint, besser meiden sollte. Halten Sie sich künftig von mei- nem Land fern."
Schwierigkeiten anziehen? Gefahren, die man meiden soll- te? Sie fragte sich, was das heißen sollte. Chloe, Tochter eines verstorbenen Marquess und Schwester des jetzigen Titelinha- bers, eines sehr einflussreichen Mannes, war durch seine rüde Abweisung zu verblüfft, um nachzufragen. Durchnässt und beleidigt blieb sie im Regen stehen und blickte ihm nach, wie er davongaloppierte, als wäre er ein Teil des wütenden Stur- mes. Sie zögerte ungläubig, erhitzt und verwirrt durch seinen Kuss und seinen rätselhaften Rat.
Woher wusste er über sie Bescheid? Und was sollte sie mit
seiner melodramatischen Warnung anfangen? Die einzigen Gefahren, die Chloe bis zu diesem Zeitpunkt im Dorf bemerkt hatte, waren ein Pastor, der gerne Klatschgeschichten verbrei- tete, und eine lästige Tante. Gütiger Himmel, hielt er sie etwa für ein Porzellanpüppchen?
Zweifelsohne war Dominic Breckland der unhöflichste und attraktivste Mann, dem sie je begegnet war. Offensichtlich interessierte es ihn nicht im Geringsten, was sie dachte. Es schien ihm gleichgültig zu sein, dass sie ihren Brüdern von seinem Benehmen erzählen könnte - doch die hätten ihn ver- mutlich ohnehin in Schutz genommen und Chloe die Schuld an dem Vorfall gegeben.
Chloe blieb im Regen stehen, bis er außer Sichtweite war. Sie spürte die Kälte nicht mehr. Wenn überhaupt, war ihr außer- ordentlich heiß, vielleicht weil sie so wütend war. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie sich nie auch nur erträumt hatte, dass ein Mann wie Lord Stratfield überhaupt existierte, und sie wünschte sich, sie hätte es nie herausgefunden.
Sie war sogar so verstimmt, dass sie beschloss, dass die ein- zige Lösung darin bestand, ihren arroganten Retter vollkom- men zu vergessen, was zufällig genau das war, wozu ihre be- stürzte Tante ihr wenige Minuten später riet.
„Ich glaubte, meinen eigenen Augen nicht trauen zu kön- nen, Chloe Boscastle! Ich konnte es einfach nicht glauben, als ich dich auf einem Pferd mit Lord Stratfield gesehen habe. Mit den Armen um seine Taille!"
Chloe lief ans Fenster, um hinauszublicken. „Ich bin verse- hentlich auf sein Land geraten. Er hat mich nach Hause ge- bracht."
„Nun, das ist für sich genommen schon ein Wunder. Es heißt, der Mann verführt jede Frau, der er begegnet."
„Hat er dich je verführt, Tante Gwendolyn?"
„Sei nicht unverschämt. Stratfield ist ein Nachbar und ein Mann von Rang, und als solchen respektiere ich ihn. Aber das bedeutet nicht, dass ich es gutheiße, wenn er sich auf seinem Anwesen eine Mätresse hält."
„Hast
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