Jillian Hunter
schwarzen Haar, als er die Hand hob, um ihr den Mund zuzuhalten. Es half keinem von ihnen, dass sie nur spärlich bekleidet war und ihr Po sich in seine Lende drück- te. Ihre verführerischen Rundungen wollten ihn vergessen ma- chen, was er zu tun hatte. Er wusste, was sie von ihm denken musste. Er verspürte ein flüchtiges, starkes Verlangen, als ihr Negligé aufging. Wie leicht er sie hätte nehmen können. Wie verletzlich sie war, trotz all ihres Kampfgeistes.
Plötzlich wusste er auch, wer sie war: die Frau im Regen mit den blauen Augen. Er erinnerte sich an den Tag, als er ihr begegnet war, daran, wie wütend er gewesen war, weil sie sei- ne Pläne durchkreuzt hatte. Es war derselbe Tag gewesen, an dem er herausgefunden hatte, dass jemand ihn töten wollte. Der Tag, an dem man auf ihn geschossen hatte, während er im Wald spazieren gegangen war. Er war auf der Jagd nach dem verhinderten Mörder gewesen, als diese junge Frau ihn auf- gehalten und ihn dazu verleitet hatte, ein paar Augenblicke lang zu vergessen, wie hässlich das Leben für ihn geworden war.
Er vermutete, dass er schon seit Wochen verfolgt worden war. Warum? Vielleicht weil er kurz davor stand, zu enthüllen, dass der Tod von Samuel Breckland und Brandon Boscastle im vergangenen Jahr keineswegs durch einen Hinterhalt der Gurkhas verursacht worden war.
Vielleicht weil er Beweise dafür gesammelt hatte, dass der Mord an den beiden jungen Soldaten von ihrem eigenen Be- fehlshaber arrangiert worden war. Dominic hatte unmittel- bar davor gestanden, etwas herauszufinden. Da war er sich ziemlich sicher. Genau wie der Mann, der Samuel und Bran- don getötet hatte.
Hätte eine junge Frau, die so frivol und schön war wie Chloe Boscastle, ihn im Regen geküsst, wenn sie gewusst hät- te, dass sein Leben in Gefahr war? Nein. Keinen Augenblick lang. Und er hätte auch nicht gewollt, dass sie es tat. So be- gehrenswert er sie auch fand, wagte er es doch nicht, sie zu gefährden.
Das Beste, was er zu dem Zeitpunkt hatte tun können, alles, was er ihr zu bieten hatte, war, sie aus einer Pfütze zu retten und sich einen Kuss zu stehlen.
Beinahe musste er bei dem Gedanken an die Ironie der Situ- ation laut lachen. Er war mehr als unhöflich und abgelenkt ge- wesen und hatte der Tochter eines Marquess im Exil nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die sie gewohnt war. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er vielleicht ausgiebig mit ihr koket- tiert und sie formell nach Hause eskortiert. Vielleicht hätte er seinen Charme bei ihr spielen lassen, um herauszufinden, ob dieser faszinierende Kuss sich zu etwas noch Interessanterem entwickeln könnte.
Nun, er würde diese mangelnde Aufmerksamkeit jetzt auf jeden Fall wiedergutmachen. Er würde sogar mehr Zeit mit ihr verbringen als mit jeder anderen Frau, der er je begegnet war, ob es ihr gefiel oder nicht, dachte er, während er die zap- pelnde Chloe zum Bett trug.
Chloe erhaschte einen erschreckenden Blick auf ihre schat- tenhaften Umrisse in dem Standspiegel auf der anderen Sei- te des Raumes. Sie war fast dankbar für die Dunkelheit, die einen gnädigen Schleier über die Ereignisse breitete. Schließ- lich war Chloe so darauf eingestellt gewesen, ihren Bruder in ihrem Ankleidezimmer versteckt zu finden, dass sie nicht gewusst hatte, wie sie reagieren sollte. Jetzt blieb ihr keine Wahl. Hilfe konnte sie nicht erwarten, sie war allein auf sich gestellt, wenn sie den Eindringling besiegen wollte.
Ein Griff wie ein stählerner Gürtel drückte ihr den Atem aus der Lunge. Sie starrte auf den muskulösen Unterarm, der sie wie eine grausame Schraubzwinge festhielt. Die andere Hand des Mannes bedeckte ihren ganzen Mund und erstickte ihre wütenden Schreie.
Seine Kraft ängstigte sie, und der Schrecken steckte ihr in
den Gliedern, aber sie war fest entschlossen, es ihm möglichst schwer zu machen, sie zu überwältigen. Trotzdem erkannte sie, dass er vermied, ihr wehzutun. Er hätte sie mühelos ent- zweireißen können. In ihrer Kindheit hatte sie oft genug mit ihren Brüdern gekämpft, um seine Stärke richtig einschätzen zu können. Sie hatte keine Ahnung, was er von ihr wollte, aber keine der Möglichkeiten, die ihr einfielen, gefiel ihr.
Die Pistole in seinem Hosenbund, die gegen ihr Kreuz ge- drückt wurde, fühlte sich kalt und Unheil verkündend an. Sie begann, sich erneut panisch zu wehren, als er sie zum Bett schleppte.
„Hören Sie auf", knurrte er ihr ins Ohr. „Sie tun mir weh."
Sie tat ihm weh,
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