Jillian Hunter
wie sie sich über ihn kniete und ihre zierlichen Finger auf seine Brust legte. „He, was, glauben Sie, tun Sie da?"
„Wie wagen Sie es, mich so etwas zu fragen", erwiderte sie sanft. „Vor allem nachdem Sie sich so benommen haben."
Fluchend beugte er sich vor, als sie ihm das Hemd aufknöpfte und ihre Finger sanft auf das entzündete, wunde Fleisch sei- ner Brust legte. „Das tut zufällig weh, nur falls Sie es noch nicht erraten haben. Außerdem erinnere ich mich nicht daran, Ihnen Erlaubnis gegeben zu haben, mich zu entkleiden."
„Ich habe Ihnen auch nie Erlaubnis gegeben, in mein Zim- mer einzubrechen oder mich zu küssen, aber das schien Sie trotzdem nicht daran zu hindern."
Sie zog eine Grimasse und biss die Zähne zusammen, wäh- rend sie mit geschickten Fingern seinen behelfsmäßigen Ver- band lockerte und der Unterrock gehorsam von seinem Ober- körper abfiel. Die bösen Stichwunden, die sich auf seiner Brust und der linken Schulter befanden, hätten ihn töten sol- len. Sein Angreifer hatte offensichtlich auf sein Herz gezielt.
Wem hatte er Leid zugefügt, um so eine hasserfüllte Gewalt- tat zu provozieren? Es war kein Wunder, dass er geschworen hatte, denjenigen zu finden, der ihm das angetan hatte.
„Kein schöner Anblick, nicht wahr?", fragte er sie.
„Ihr Chirurg hat mit diesen Stichen ausgezeichnete Arbeit
geleistet", stellte sie taktvoll fest und dachte insgeheim, dass er nur dank eines ausgezeichneten Schutzengels überlebt ha- ben konnte. „Ich bezweifle jedoch, dass er es gutheißen wür- de, wie Sie seine Arbeit mit all Ihren Aktivitäten ruinieren." „Es hat Stunden gedauert."
„Ich glaube trotzdem, dass Sie erneute medizinische Betreu- ung benötigen. Diese Wunde ist dabei, sich zu entzünden. Se- hen Sie sich diese geschwollenen roten Stellen an."
„Nein. Kein Arzt."
„Was soll ich tun, wenn Sie unter meinen Händen sterben?", fragte sie verzweifelt.
„Werfen Sie mich von mir aus zum Fenster hinaus. Wenn ich tot bin, ist es egal."
„Ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen, was mit mir geschieht, wenn herauskommt, dass ich eine Leiche in meinem Zimmer verstecke?"
„Oder dass Sie diese Leiche geküsst haben? Aber das Ge- heimnis nehmen wir mit ins Grab."
„Wagen Sie es nicht, sich über mich lustig zu machen, Strat- field. Ich werde im Nu mit irgendeinem zahnlosen alten Land- junker verheiratet, wenn ich diesen Sommer noch in weitere Schwierigkeiten gerate."
„Ein Schicksal, das schlimmer ist als der Tod. Lady Chloe Boscastle, verdammt zu einem Leben auf dem Lande. Denken Sie doch nur an all die Krähen und Kühe, die Sie bezirzen könnten."
„Ich glaube, ich verstehe langsam, warum jemand sich Ih- ren Tod gewünscht hat", erklärte sie düster.
„Ernsthaft, meine Liebe, ist es nicht ein wenig spät, um sich über so etwas Unwichtiges wie Ihren Ruf Gedanken zu ma- chen? Ich hatte schließlich nichts mit Ihrem Exil zu tun." Chloe nahm einen tiefen Atemzug, um sich zu beruhigen. „Wenn Sie in diesem Zimmer gefunden werden, wird sich mein nächstes Exil in Tasmanien befinden."
„Lady Chloe unter all diesen schrecklichen Strafgefange- nen? Gütiger Himmel, das können wir nicht zulassen."
„Ist ein Strafgefangener schlimmer als eine Leiche?"
„Ich nehme an, das kommt auf die Leiche an." Er hielt inne. Chloe vermutete, dass er sich zusammenriss, um zu verbergen,
wie elend er sich mittlerweile fühlte. „Darf ich Ihre Sorge so verstehen, dass Sie wirklich vorhaben, sich zu bessern?"
Sie hielt seinem herausfordernden Blick stand. „Ja. Ich werde mich bessern, sofern Sie nicht alles ruinieren."
Er legte den rechten Arm hinter seinen Hals und fluchte laut über den Schmerz, den diese beiläufige Bewegung verur- sachte. „Ich bin neugierig. Wie war ich im Vergleich zu Ihrem Liebhaber im Park?"
Chloe konnte den Schmerz in seiner Stimme nicht ignorie- ren. Ob es ihm gefiel oder nicht, dieser Mann benötigte ärztli- chen Beistand, und sie hatte beim besten Willen keine Ahnung, wie sie heimlich einen Arzt hier herauf schmuggeln sollte.
„Ich weiß nicht, wie Sie im Vergleich abschneiden", sagte sie. „Es geht Sie auch nichts an."
Sein Grinsen war geradezu teuflisch für einen Mann, der solche Schmerzen litt. „Dann kann es kein großartiger Kuss gewesen sein. Ich kann nur annehmen, dass meiner besser war."
In Chloes Gedanken gab es keinen Vergleich. Lord Brent- fords Kuss war unbeherrscht gewesen und zu einem schlech- ten Zeitpunkt gekommen.
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