Jillian Hunter
Porträt von Dominic fand. Es wäre sicherer gewesen, sein Porträt zu schelten, als ihm noch einmal leibhaftig gegenüberzutreten.
Der Klang von Chloes unbeschwertem Lachen drang durch die Wände hindurch bis in das düstere Versteck, in dem Do- minic sich verbarg. Er konnte spüren, wie ihre Lebensenergie seine einsame, melancholische Stimmung vertrieb. Ihre ver- führerische Stimme lockte ihn, sein Gefängnis zu verlassen, um sie wiederzusehen. Es quälte ihn, zu wissen, dass sie hier in seinem eigenen Haus war und er sie doch nicht in die Arme schließen konnte.
Wenn er die Wahrheit sagen musste, wollte er mehr als das, viel mehr. Es war sein leidenschaftlicher Wunsch, alles über Chloe Boscastle zu erfahren, ihre Bewunderung für sich zu ge- winnen und sich vor ihr als Held zu erweisen. Er wollte sein Versteck für immer verlassen und wieder zum Menschen wer- den.
Er begann, in dem engen, stickigen Raum auf und ab zu gehen, der ihm als selbst auferlegtes Gefängnis diente. Wie ungerecht es war, dass er ihr in der schwärzesten Zeit seines Lebens hatte begegnen müssen. Zweifelsohne hatte er sie an- gewidert. Selbst wenn es ihm gelang, Rache zu nehmen und das Ganze sogar zu überleben, würde er doch nie die Erlaub- nis erhalten, ihr den Hof zu machen. Ihre Brüder würden ihn mit Recht einen Schurken schimpfen und ihn zum Frühstück verspeisen.
Falls er überlebte.
Er war bereit, für seine Rache zu sterben. Nichts konnte ihn aufhalten.
Ihr Gelächter hallte die Galerie entlang, und er musterte hoffnungsfroh den Spalt in der Wand. Er sehnte sich danach, sie noch ein einziges Mal zu sehen. Die halbe Nacht und den ganzen Tag hatte er sich mit der Erinnerung an ihre Küsse und ihre hitzigen Worte gequält, indem er bis ins kleinste De- tail heraufbeschworen hatte, wie sie sich angefühlt und wie
sie geduftet hatte. Es schien beinahe unglaublich, dass sie in sein Haus gekommen war. Sie war so nah - und doch außer- halb seiner Reichweite. Als hätte sein Verlangen sie zu ihm hingezogen.
Und sie lachte. Sie hatte mit seinem Feind zu Abend geges- sen. Tanzte den Gang hinunter, über den sein Mörder gekom- men war. Sprach mit dem machthungrigen Mann, der in der Lage war, einen Menschen ebenso leichtfertig zu töten wie eine Fliege.
Dominic hatte sie nicht ausreichend gewarnt.
Sie hatte ja keine Ahnung, wie gefährlich Sir Edgar sein konnte.
„Mama, wo willst du denn hin?", fragte Pamela erschrocken und beeilte sich, mit den schnellen Schritten ihrer Mutter mit- zuhalten.
„Zum Schlafzimmer Seiner Lordschaft."
Pamela blickte Chloe entsetzt an. „Was ist, wenn Sir Edgar uns findet und wissen will, was wir tun?"
Tante Gwendolyn blieb erstaunlich unbeeindruckt. „Wir be- stehen darauf, dass wir ein Geräusch gehört haben und verse- hentlich in den Raum gegangen sind."
„Wirklich, Tante Gwendolyn, ist das nicht äußerst unver- schämt?", fragte Chloe. Offenbar hatte sie die Entschlossen- heit ihrer Tante unterschätzt. Vielleicht kam das Blut der Bos- castles doch noch durch.
„Äußerst unverschämt", verkündete Tante Gwendolyn, wäh- rend sie die mondbeschienene Galerie entlangrauschte, „ist ein Geist, der es darauf anlegt, meine Tochter in den Ruin zu treiben."
Chloe eilte ihr nach. Es war unmöglich, eine Boscastle auf- zuhalten, die sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, selbst wenn sie nur einer Nebenlinie entstammte. Tante Gwendolyn hatte in ihrem Ridikül ein Päckchen Salz, eine Bibel, eine Sil- berglocke und ein Seidentäschchen mit dem pulverisierten Fingerknochen eines französischen Heiligen mitgebracht. Zumindest hatte Madame Dara das behauptet, als sie La- dy Dewhurst die krümeligen Körnchen verkauft hatte, die Chloes Meinung nach verdächtig nach Hafermehl aussahen.
„Nun, kommt schon, Mädchen", flüsterte Tante Gwendolyn, sobald sie die verschlossene Schlafzimmertür erreicht hatten. „Den Informationen des Pastors zufolge ist dies der Raum, in dem Lord Stratfield ermordet wurde."
„Vielleicht sollten wir das Ganze bei Tageslicht machen", sagte Pamela, die bei der Erwähnung des grauenvollen Mor- des blass geworden war.
„Unsinn", widersprach ihre Mutter. „Geister treiben ihr Unwesen bei Nacht, und wir wissen nicht, ob wir noch eine zweite Gelegenheit bekommen, ihn aufzuhalten. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass mein Gemahl in der Kunst der Konversation geschult genug ist, um Sir Edgar noch sehr viel länger zu unterhalten."
Chloe blieb zurück, als Pamela
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