Jim Knopf 02 - Jim Knopf und die Wilde 13
herdrehte, wenn die Wellen das Steuerruder bewegten.
In einem seltsamen, scheinbar ziellosen Zickzackkurs segelte das Schiff auf das hohe Meer hinaus. Die Matrosen standen untätig an die Reling gelehnt und warteten. Eine leichte, kaum spürbare Brise wehte und die Fahrt ging nur sehr langsam voran, obwohl alle Segel gesetzt waren. Die Sonne brütete auf dem Verdeck.
So verging der Tag.
Als die Nacht hereinbrach, legten Jim und Lukas sich ein wenig in ihrer Kajüte nieder, aber die Hitze war unerträglich. Unruhig warfen sie sich hin und her und konnten keinen rechten Schlaf finden. Um Mitternacht kam ein frischer Wind auf und trieb das Schiff eine Weile zu zügiger Fahrt an, aber gegen Morgen flaute er ganz und gar ab. In vollkommener Windstille lag das Meer spiegelglatt da, keine Welle regte sich weit und breit.
Als Jim und Lukas noch vor Morgengrauen wieder das Deck betraten, waren auch die meisten Leute der Besatzung schon wieder da, standen schweigend und wartend an der Reling und spuckten ab und zu in die trägen Fluten.
Die allgemeine Spannung wuchs von Minute zu Minute.
Der Einzige, der auf diesem Schiff tief und seelenruhig schlief, war der winzige Oberbonze. Die Aufregungen der letzten Tage hatten ihn so erschöpft, dass er sich nach der Abfahrt des Schiffes spornstreichs in die Schiffsküche, die sogenannte Kombüse, begeben und eine winzige Schnullerflasche voll Eidechsenmilch ausgetrunken hatte. Das war, wie man sich erinnern wird, nach seiner Ansicht die zuträglichste Nahrung für Kindeskinder in seinem zarten Alter. Von plötzlicher Müdigkeit übermannt, hatte er sich ein kühles Plätzchen zum Schlafen gesucht und sich dazu eine kleine Holzhütte erwählt. Um es schön dunkel und still zu haben, hatte er sein seidenes, geblümtes Sonnenschirmchen aufgespannt und über die Öffnung gehängt. Nun schlief er tief und friedlich und sein leises Schnarchen klang aus dem Inneren des Holzgefäßes wie das Summen einer eingeschlossenen Fliege.
Und Li Si? Die kleine Prinzessin hatte eine schreckliche Nacht hinter sich. Ihr ganzer Mut war ihr inzwischen abhanden gekommen. Sie saß hinter den Säcken in ihrem Versteck und fürchtete sich beinahe zu Tode. Dass es die ganze Zeit über so still auf dem Schiff war, machte ihre Angst nur noch größer, denn sie meinte schließlich, dass sie ganz mutterseelenallein an Bord wäre und über den Ozean dahintriebe, den dreizehn Seeräubern entgegen.
Eben dämmerte das erste Morgengrauen am östlichen Horizont, als plötzlich ein Windstoß über das Meer herankam und die Oberfläche des Wassers silbrig kräuselte. Er wehte von Süden. Im gleichen Moment rief der Matrose, der oben im Mastkorb Ausschau hielt:
»Schiiiiiff in Siiiiiicht! Richtung Süüüüüd!«
Alle spähten angestrengt zum südlichen Horizont und hielten den Atem an. Und nun sahen sie es! Ein großes Schiff tauchte plötzlich auf und näherte sich mit geradezu unwahrscheinlicher Geschwindigkeit. Es hatte alle Segel gesetzt, Segel von blutroter Farbe, und auf dem größten in der Mitte stand deutlich zu erkennen eine große schwarze 13.
»Das sind sie!«, flüsterte Jim.
»Ja«, antwortete Lukas, »es geht los, alter Junge. Sowie sie uns entdecken, müssen wir sie überrumpeln, sonst entwischen sie uns. Ihr Schiff ist schneller, als ich's je bei einem Schiff gesehen habe.«
»Alarm! Alarm!«, dröhnte die mächtige Stimme des Kapitäns über das Deck. »Alle Mann auf ihre Posten!«
Die Mannschaft stellte sich an den Kanonen auf, bereit zu feuern. Außerdem hatten die Matrosen sich Säbel umgeschnallt und Pistolen in die Gürtel gesteckt. Schweigend beobachteten alle, wie das Piratenschiff immer näher kam. Jetzt war es vielleicht noch eine Seemeile entfernt. Aber noch immer schien dort drüben niemand das blau bemalte Staatsschiff bemerkt zu haben.
»Jim!«, gellte plötzlich Li Sis angstvolle Stimme und dann kam sie über das Verdeck auf die beiden Freunde zugerannt und klammerte sich an Lukas fest, wobei sie stammelte: »Bitte, nicht! Bitte, bitte, nicht! Schnell wegfahren! Ich will heim! O bitte, nicht!« Und sie schluchzte ganz herzzerreißend und zitterte und bebte am ganzen Körper.
»Verflixt und zugenäht!«, stieß Lukas zwischen den Zähnen hervor. »Das hat uns gerade noch gefehlt! Was machen wir jetzt?«
Einen Augenblick zögerte er, mit der kleinen Prinzessin an Bord den Angriff auf die »Wilde 13« zu riskieren. Jim war vor Schreck wie gelähmt.
»Li Si«, brachte er
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