Jim Knopf und die Wilde 13
und ausdauernd. Aber
das Ende vom Lied war schließlich, daß sämtliche Piraten bewußtlos auf dem
Boden lagen.
Als sich keiner mehr rührte, kletterte
Jim geschwind aus seinem Versteck und fesselte sie der Reihe nach mit dem Seil
der großen Rolle, in der er gesessen hatte. Mit einem Piratendolch schnitt er
die einzelnen Stücke ab. Als er damit fertig war, steckte er sich mit einem
tiefen Seufzer der Befriedigung den roten Stern an seinen Lokomotivführeranzug,
nahm eine Fackel, öffnete die Falltür und stieg eine Treppe hinunter. Bald
stand er vor einer niedrigen Tür. Der Schlüssel steckte von außen im Schloß. Er
drehte ihn herum, und laut knarrend öffnete sich die Pforte. Die Gefangenen
lagen auf dem Boden eines großen, runden Raumes, dessen Wand ringsum viele
Türen hatte, schwere, grünspanbedeckte Türen.
„Jim“, flüsterte Lukas, „Ich wußte, daß
du kommen würdest.“
„Es ging leider nicht schneller“,
antwortete Jim übermütig. Dann befreite er seinen Freund von den Fesseln, indem
er sie einfach durchschnitt. Ebenso machte er es bei Li Si und allen anderen.
„Wo sind die Piraten?“ raunte der Kapitän vorsichtig.
„Oben“, antwortete Jim vergnügt, „sie
erwarten uns schon. Kommt nur, ich werd’ sie euch vorstellen.“
Die anderen blickten sich erstaunt an.
Dann folgten sie dem Jungen, der mit der Fackel in der Hand vor ihnen her die
Treppe hinaufstieg. Die Piraten waren inzwischen wieder aufgewacht. Sie konnten
ganz und gar nicht begreifen, was ihnen widerfahren war. Bis zu diesem
Augenblick hatte sie ja noch nie jemand besiegt.
Jim stellte sich vor sie hin und sagte:
„Ich bin Jim Knopf, der, den ihr damals zum Drachen schicken wolltet und der
dort nie angekommen is\ Nur damit ihr wißt, wer mit euch fertig geworden is’!“
Den Piraten traten die Augen aus den Köpfen vor Schreck und Verwunderung. Lukas
aber schlug Jim voll Bewunderung auf die Schulter und rief: „Donnerwetter
nochmal, alter Junge, hast du das ganz allein fertiggebracht?“
„Ja“, sagte Jim.
„Das ist eine unerhörte Tat!“ dröhnte
der Kapitän, und die Matrosen brummten voller Hochachtung:
„Ein toller Bursche, dieser Jim Knopf!“
„Natürlich war eine List dabei“,
erklärte Jim, „sonst hätt’ ich die ,Wilde 13‘ niemals besiegt.“ Und dann
erzählte er, wie er es angefangen hatte. Als er zu Ende war, schwiegen alle
staunend. Nur einer der Piraten murmelte: „Teufel auch, so einen Kerl hätten
wir als Hauptmann haben sollen, dann hätten wir’s noch weit gebracht.“ Lukas hatte
sich als erstes seine Pfeife wieder angezündet. Nun stieß er dicke Rauchwolken
aus, und seine Stimme klang beinahe feierlich, als er sagte:
„Jim Knopf, du bist wahrhaftig der
feinste kleine Kerl, den ich in meinem ganzen Leben gekannt habe!“
Und nun trat die kleine Prinzessin, die
bis jetzt noch kein Wort hatte herausbringen können, auf Jim zu, errötete und
sagte mit ihrer zarten Vogelstimme:
„Jim, bitte verzeih’ mir, was ich
gesagt und getan habe. Das war furchtbar dumm von mir. Und jetzt weiß ich, daß
du nicht nur mutig bist, sondern auch der klügste Mensch, den ich kenne. Und
wenn jemand so gescheit ist wie du, dann braucht er überhaupt nicht lesen und
schreiben und rechnen zu können.“
Jim lächelte sie an und antwortete
nachdenklich:
„Ich hab mir’s inzwischen überlegt, Li
Si. Du hast schon recht gehabt. Und ich will’s jetzt lernen.“
Nun wurden erst einmal die gefesselten
Seeräuber von den Matrosen in das Verlies hinuntergeschafft, und Jim schloß die
Tür ab. Als sie wieder in den Saal zurückgekehrt waren, machten sie es sich auf
den weichen Eisbärfellen bequem und aßen alles auf, was von dem Schweinebraten
noch übriggeblieben war.
Jim war so müde und erschöpft, daß er
schließlich mit einem halb aufgegessenen Kotelett in der Hand einschlief. Und
einer nach dem anderen folgte bald seinem Beispiel. Nur Lukas und der Kapitän
hielten abwechselnd Wache und sorgten dafür, daß das Feuer nicht erlosch. So
verging die Nacht.
FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL
in dem Jim Knopf das Geheimnis seiner Herkunft erfährt
Am nächsten Morgen — das heißt, als die
Uhr des Kapitäns zeigte, daß draußen die Sonne aufgegangen sein mußte, denn
sehen konnte man davon in der Burg „Sturmauge“ natürlich nichts — bereitete Li
Si aus den Vorräten der Seeräuber für alle ein nahrhaftes Frühstück, bestehend
aus Schiffszwieback, eingesalzener Butter, Ölsardinen,
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