Jinx - der verfluchte Liebeszauber
erlebt hatte. Die neue Tory war kühl und unnahbar und eigentlich wie eine Fremde.
Und es war mir ziemlich egal, was irgendeine Fremde über mich dachte und sagte.
Ganz ehrlich.
Na ja, gut, vielleicht nicht ganz.
»Ist schon okay«, sagte ich lässig. Jedenfalls hoffte ich, dass es lässig klang. »Wahrscheinlich hat sie wirklich was Besseres zu tun, als mich babyzusitten. Viel schlimmer finde ich, dass meine Tante anscheinend der Meinung ist, dass ich einen Babysitter brauche.« Und für den Fall, dass ich mich damit noch nicht klar genug ausgedrückt hatte, setzte ich hinzu: »Ich brauche nämlich keinen.«
Zack zog seine dunklen Augenbrauen hoch und schwieg. Ich hoffte, dass er nicht gerade an den Long Island Iced Tea dachte, den ich ihm ins Gesicht gespuckt hatte, aber wahrscheinlich tat er genau das. Paula versuchte weiter, Tory in Schutz zu nehmen (»Sie ist wahnsinnig nervös, weil sie bald Prüfungen hat, und kann deswegen gar nicht mehr schlafen«), während sie uns zur Tür führte. Ich fragte mich, warum sie das tat. Ich hatte nämlich nicht den Eindruck, als sei diese neue Tory jemand, die wollte – oder es nötig hatte –, dass man sie in Schutz nahm.
Aber vielleicht gab es ja Dinge bei »Torrance«, die ganz anders waren, als sie schienen. Möglicherweise war bei den Gardiners trotz des tollen Märchengartens und der Schwanenwasserhähne im Bad nicht alles Gold, was glänzte. Jedenfalls was Tory anging.
»Tja dann«, sagte Zack, als wir vor dem Haus auf dem Gehweg standen (ich war sehr zufrieden mit mir, weil ich es diesmal geschafft hatte, die Treppe zu bewältigen, ohne hinzufallen). »Hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen, Cousine Jean aus Iowa. Ich wohne übrigens
gleich nebenan, wir werden uns also bestimmt wieder über den Weg laufen.«
Zumindest verstand ich jetzt, warum er sonst immer über die Mauer geklettert war und – genau wie Tory – nach der Schule Gelegenheit gehabt hatte, die Schuluniform aus- und normale Sachen anzuziehen.
»Ihr werdet euch sicher ganz oft sehen«, sagte Paula, die erheblich entspannter wirkte, seit wir aus dem Haus und damit aus Torys Nähe waren. »Jean geht ja für den Rest des Schuljahrs auch auf die Chapman School.«
»Ja, das hab ich schon gehört«, sagte Zack und zwinkerte mir zu. »Dann sehen wir uns spätestens Montag in der Schule. Mach’s gut, Cousine Jean aus Iowa.«
Als er mir zuzwinkerte, zerschmolz ich innerlich noch ein bisschen mehr. Ich würde in Zukunft echt aufpassen müssen, um nicht voll und ganz zu zerfließen.
Zum Glück bekam Zack davon nichts mit, weil er sich bereits umgedreht hatte und auf das ebenfalls vierstöckige Haus links von dem der Gardiners zuschlenderte, das dunkelblau verputzt war und weiße Stuckverzierungen hatte. Vor den Fenstern hingen zwar keine Blumenkästen, dafür war die Haustür aber in dem gleichen Rotton lackiert, in dem die Geranien der Gardiners leuchteten.
Rot wie Blut.
Ich schüttelte den Kopf und fragte mich, wie ich auf so einen komischen Gedanken kam.
»Kommst du, Jean?« Paula zeigte in die andere Richtung.
»Wenn wir Teddy und Alice abholen wollen, müssen wir da lang.«
»Moment noch«, sagte ich.
Weil ich mich nicht in Bewegung setzen konnte, solange es noch ungefährlich gewesen wäre. Natürlich nicht – schließlich war ich Jean Honeychurch.
Nein, ich blieb stehen, als wäre ich das geistig minderbemittelte Landei, für das Tory mich hielt, und sah Zack hinterher, der an einem Auto vorbeiging, das soeben rückwärts in eine der in New York so seltenen und darum kostbaren Parklücken rangiert hatte. Auf der Beifahrerseite riss gerade jemand die Tür auf, um auszusteigen, als ein Fahrradkurier auf einem Zehngangrad den Gehweg entlanggerast kam.
Und dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig:
Um nicht von der Tür getroffen zu werden, wich der Kurier nach rechts aus, raste direkt auf Zack zu – der weder das Auto noch den Fahrradkurier oder das unheilverkündende Blutrot der Geranien bemerkt hatte – und wäre mit Sicherheit direkt in ihn hineingekracht, wenn ich mich nicht in genau derselben Sekunde vor Zack geworfen und ihn aus der Schusslinie geschubst hätte.
Und so kam es, dass ich an meinem ersten Tag in New York von einem Fahrradkurier überfahren wurde.
Womit ich nur mal wieder einen weiteren Beweis für mein legendäres Pech geliefert hatte.
5
M an sieht ihn gar nicht«, tröstete mich Tante Evelyn. »Jedenfalls kaum. Wir überschminken
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