Joanna Bourne
ich einen Roma-Jungen finden, der jünger und dunkler ist und besser aussieht als du. Dann werde ich es mit ihm in Scheunen und Heuhaufen treiben, bis ich nichts mehr für dich empfinde.« Diese Worte sollten ihn verletzen und sie von ihm befreien. Daher gefiel ihr nicht, welchen Ausdruck sie dabei in ihren Augen im Spiegel sah.
»Viel Vergnügen. Das wird aber nichts zwischen uns ändern, Annique, auch nicht bei fünfzig Zigeunerjungen.«
Sie wünschte, er würde nicht so viele zutreffende Wahrheiten von sich geben. Sie wich vor ihm zurück und machte sich daran, das Durcheinander auf der Kommode zu beseitigen, indem sie alles ordentlich aufreihte. »Man verliebt sich nicht in seinen Gefängniswärter. Die Wärter irren sich gewaltig, wenn sie meinen, dass Gefangene sie mögen. Hättest du mich nicht hier eingesperrt, wäre ich längst davonspaziert. Und in einer Woche hätte ich dich ganz aus meinem Gedächtnis gestrichen.« Oder in einem Monat oder in einem Jahr. Oder auch nie. »Zwischen uns existiert nichts außer Fleischeslust.«
»Das auch.«
»Ich möchte gar nichts für dich empfinden, verstehst du? Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn man nicht einmal ein eigenes Unterhemd besitzt? So abhängig von einem Mann zu sein, dass ich dich um Kleidung bitten muss? Das ist keine gute Grundlage für eine Freundschaft.«
»Ich weiß. Es erleichtert die Sache nicht gerade. Wirst du heute Nacht bei mir schlafen?«
Er formulierte es als Frage, nicht als Forderung. Eine einfache Frage. Sie wusste nicht, wie sie solch einer Raffinesse begegnen sollte. »Kann ich auch Nein sagen?«
»Natürlich. Hier gibt es fünf oder sechs leere Betten, eines gleich am Ende des Flures. Dort kann ich dich einquartieren.« Er rückte ihr wieder näher, sodass sie sich fast berührten. »Ich schließe die Tür nicht ab. Wirst du also zu mir kommen?«
»Ich bin wirklich töricht.«
»Ich werte das als Ja.« Er lächelte.
Sie gönnte ihm seinen Sieg. »Irgendwann in der Nacht komme ich dann auf Zehenspitzen über den Flur zu dir geschlichen, öffne die Tür und krabbele an deine Seite. Ich höre jetzt schon auf die Argumente, die dein Körper meinem gegenüber vorzubringen hat. Wenn du mich jetzt zu diesem Bett tragen würdest, müsstest du nicht eine Sekunde lang versuchen, mich zu überreden, da mein Körper bereits in Flammen steht.«
»Der Flur wird ganz schön kalt. Schlaf heute Nacht bei mir, in diesem Bett.«
Er schmiegte seine kräftige, warme Hand an ihre Wange. Er war sich ihrer so bewusst … dass er sogar das kaum wahrnehmbare Kopfnicken spürte.
»Du musst es schon laut sagen.«
»Ja.« Sie zeigte keine Scham.
»Ich nehme dich beim Wort.« Er zog sie eng an sich und kuschelte sich in ihr Haar. Als er ihren Duft einsog, drang ein tiefes Grollen aus seiner Kehle. Es zog ihr das Herz zusammen, dass er sogar ihren Duft verführerisch fand.
Auch seine Hände verlangten nach ihr. Sie kneteten den weichen Stoff über ihrem Po, liebkosten und fanden Gefallen an der Form ihres Körpers. Sie schloss die Augen, um wieder in der Dunkelheit zu sein, bei seiner Kraft, seiner Begierde und dem kräftig schlagenden Herzen. Es existierte nichts mehr außer diesem Fühlen, diesem Empfinden. Verlangen entflammte zwischen ihren Beinen und breitete sich wohltuend aus. Ihre Haut glühte pulsierend. Sie war wie betört. Sie war …
Sie war Annique Villiers, und dieser Mann war ihr Feind. Schwer atmend stieß sie sich von ihm weg. Ihr leises Stöhnen hatte sie gar nicht bemerkt. Was war sie doch nur für ein Dummkopf.
»Ich begehe … « Sie musste von vorne beginnen. »Ich begehe Fehler, wenn du bei mir bist. Ich vergesse mich.«
»Du bist es nicht gewöhnt, so durcheinander zu sein.«
»Behandele mich nicht von oben herab, Monsieur. Ich zeige erste Anzeichen von Wahnsinn, was dich betrifft. Das hätte jeder passieren können.« Sie stapfte barfuß durch den Raum und setzte sich auf die Kante des Sessels. Doyles Maggie hatte ihr weiß gemusterte Seidenstrümpfe zur Verfügung gestellt. Exquisit. Sie würde in exquisiten Strümpfen durchdrehen. »Vielleicht kehrt mein Verstand ja zurück, und ich schlafe heute Nacht allein. Wer weiß das schon? Du kannst mich nicht auf immer und ewig so aus der Fassung bringen.«
»Wir verwirren uns gegenseitig.«
»Aber einer von uns sitzt am längeren Hebel. Du willst mich das vergessen machen. Deshalb bist du auch so nett. Mir wäre es lieber, du wärst aufrichtig und würdest mich mit
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