Joanna Bourne
seidene an, das ich Euch geschickt habe, oder schlüpft von mir aus auch nackt ins Bett.«
»Ich werde dieses unschickliche Ding nicht anziehen. Ich bin doch keine – « Sie unterbrach sich, schluckte und sagte dann bedächtig: »Ich bin nicht irgendeine Frau von der Straße, die man für den Preis einer warmen Mahlzeit bekommt. Ich werde nicht – «
»Nun seid um Himmels willen nicht so verdammt theatralisch.« Er ließ sie herunter, lockerte langsam seinen Griff und ließ sie los. »Und hört mit dieser verdammten Sittsamkeit auf. Von jetzt an werdet Ihr Kleider tragen, unter denen Ihr keine Waffen verstecken könnt. Das ist alles. Geht zu Bett und schlaft.«
»Dann dürfte ich so gut schlafen wie die Maus neben der Katze. Legt mich nicht herein, Engländer. Da verstehe ich keinen Spaß.«
»Und ich im Augenblick ebenso wenig. Also hört endlich auf, mich weiter zu belustigen mit diesem … « Der tiefe Ausschnitt ihres Hemdes sprang auf. Kühle Luft strömte herein. »… erfahrenen, verschlagenen kleinen Körper. Schlüpft endlich in dieses Nachthemd und geht zu Bett.«
»Monsieur, tut mir das nicht an.«
»Euch wird verdammt noch mal nichts geschehen, wenn Ihr Euch benehmt. Tut einfach, was ich sage, und Ihr werdet gut behandelt. Greift mich noch einmal an, und ich schwöre, ich fessele Euch an den Bettpfosten. Akzeptiert das endlich.«
Akzeptiert das , sagte er. Doch er täuschte sie und sich selbst, wenn er glaubte, er würde sie in dieses weiche Bett lassen und dann nicht anrühren.
Er war ein Monster. Zwingen würde er sie nicht, doch er wollte sie unbedingt und hielt sie für ein leichtes Mädchen und willig. In den langen stillen Stunden dieser Nacht würden seine Hände sie finden und so lange sanft verwirren, bis sie ihm in der Intimität der Decken die gewünschten Antworten gab. Am Ende sorgte er vielleicht sogar dafür, dass sie das, was er mit ihr anstellte, auch noch selbst wollte. Sie war weder stark noch vernünftig, wenn es um diesen Mann ging.
Ein weiteres Fluchtmotiv.
Wenn man keine Waffe mehr besaß, musste man auf List, Täuschung und unlautere Mittel zurückgreifen. Das hatte sie von Vauban gelernt. Und von Maman. Und genauso von René und Françoise und dem weisen, alten Zyniker Soulier – von all ihren Spionagefreunden. Von Kindesbeinen an war ihr das bekannt. Manchmal musste man auch unliebsame Dinge tun.
Als Annique konnte sie keine verabscheuungswürdigen Rollen spielen. Sie musste jemanden mit größerer Entschlossenheit darstellen. Ihr Repertoire an Rollen war groß … Um sich selbst zu beruhigen, atmete sie tief durch und wählte aus. Sie würde die »Kurtisane von Welt« sein. Hatte sie diese Rolle nicht schon oft genug in Wien gespielt?
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, ließ den Kopf sinken und die Rolle der Kurtisane in ihren Geist schlüpfen. Sie wurde von ihr umschlossen wie ein dicker, schützender Umhang. Die Kurtisane war einige Jahre älter als Annique, abgeklärt und zynisch. Ein feindlicher Engländer kümmerte sie nicht die Bohne. Der Kurtisane war es egal, ob sie dieses obszöne Stück Stoff trug … oder was auch immer sie möglicherweise noch tun musste.
Sie hob das Kinn. Die Kurtisane zeigte kein Entsetzen darüber, dass ein Mann sie begehrte. Im Gegenteil, es verlieh ihr Kraft.
Sie zuckte mit den Achseln. »Dieser unbedeutende, kleine Sieg geht an Euch.« Als Kurtisane konnte sie sich ungeduldig und voller Verachtung an Grey vorbeidrängen und durchs Zimmer spazieren. Vom Fenster zum Tisch waren es drei lange Schritte; sie hatte sie nach dem Abendessen gezählt. Sie drehte ihm den Rücken zu und warf das glatte Seidenhemd auf den Tisch, neben den Kerzenhalter. Sie berührte ihn ein letztes Mal. Mit jeder Faser ihres Körpers würde sie sich daran erinnern, wo er stand, wenn plötzlich alles ganz schnell gehen musste. Die Kulisse stand. Alles war vorbereitet.
»Geht weg. Ich werde in dieses vulgäre Kleidungsstück steigen. Aber ich werde mich nicht vor Euch entblößen.« Ihre Stimme – die Stimme einer Kurtisane – klang aristokratisch kühl, und es war deutlich herauszuhören, dass sie des Ganzen zutiefst überdrüssig war. Sie legte zwei Finger an den Tisch, um nicht die Orientierung zu verlieren. »Denkt, was Ihr wollt, aber ich bin keine Frau, die sich freimütig mit Fremden vergnügt.«
»Es ist zu dunkel, als dass man viel erkennen könnte. Macht schon, bevor ich Euch ausziehe und selbst ins Bett werfe.«
»Wie verlockend es aus
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