Joanna Bourne
Vögel. Sie waren also inmitten weiter Felder fernab der Dörfer mit einem Wald in der Nähe. Hier, wo man seine Schreie nicht hörte, würden sie den armen Adrian unters Messer legen.
»Ist die Stelle gut?« Die Kutschtür schwang auf. Sie hörte, wie Grey heraussprang und die Straße entlangging.
»Denk schon.« Doyles Worte wurden von einem Geräusch begleitet, das ihr Rätsel aufgab, bis sie herausfand, dass es das Kratzen über ein unrasiertes Kinn war. »Was haben wir denn da … Neben dem Weg liegen ein paar Steine wie zufällig übereinander. Könnte das Werk von Zigeunern sein. Wir folgen jetzt schon ’ne ganze Weile einer Route von ihnen – sie haben Stofffetzen höher, als Wagendächer sind, in die Bäume gehängt. Die Steine bedeuten wahrscheinlich, dass hier einer ihrer Lagerplätze ist. Vielleicht da hinten in dem Wäldchen.«
Beide Männer warteten darauf, dass sie sich dazu äußerte. Jeder dieser britischen Spione wusste weitaus mehr über sie, als ihr lieb war. »Wie sehen sie denn aus, Eure Steine, Monsieur Doyle?«
»Ein sehr großer Kamerad, etwas rundlich. Der ist inner Mitte. Dann liegen da drei in einer Reihe, und zwar … Ich zeig’s Euch.« Er machte die Zügel fest, nahm ihre linke Hand, legte sie mit der Innenfläche nach oben auf sein Knie und presste Punkte darauf. So zeigte er ihr, wo und wie die Steine zueinander lagen. »Und dann noch ein flacher etwas weiter weg, hier an Eurem kleinen Finger vorbei, äh, zwei Handbreit nach rechts. Keine Ahnung, ob er dazugehört oder nur zufällig da rumliegt. Zweige, Federn oder Grasbüschel sind keine zu sehen. Nur die Steine.«
»Ihr habt schon vorher solche Zeichen gelesen.« Kein Zweifel, sie hatten einen Lagerplatz der Roma gefunden.
»Die Patrin? Hier und da hab ich welche gesehn, Miss. Man kann nicht sagen, dass ich sie gelesen hab.«
»Wagenspuren«, rief Grey von den Wiesen auf der rechten Seite herüber. »Eine verläuft exakt in der anderen, haargenau. Zigeuner.«
Wenn hier Roma lagerten, würden sie ihr helfen. Sie würden sich zwar nur ungern in den Streit dieser Gadjos ziehen lassen, aber eine Romanes sprechende Frau auch nicht gerne in den Fängen solcher Männer sehen. Wenn sie nur ein wenig lügen würde …
Doyle räusperte sich. »Sie sind nicht hier. Die Stofffetzen hängen schon ’ne Zeit lang hier. Monate. Und die Wagenspuren sind auch alt. Wir haben den Platz für uns.«
Diese beiden sahen einfach zu viel. Viel lieber hätte sie es mit Dummköpfen zu tun gehabt. »Ihr habt recht, was diese Markierungen, die Patrin, angeht. Nicht weit von hier ist ein Lager. Ein sicherer Ort. Er wird flussaufwärts liegen und höher als die Straße, damit sauberes Wasser ankommt. Die Roma achten sehr darauf.«
Nach einer kurzen Diskussion über das Gelände geleitete sie die Kutsche nicht zum nächstbesten Fleckchen Wald, sondern einen langen Pfad hinauf, der ins Dickicht führte und ihnen nicht so geeignet erschien. Schon beim Betreten der Lichtung wusste sie, dass dies ein Zufluchtsort der Roma war. Die Kräuter, die von den Kutschrädern zermalmt wurden, waren solche, die die Roma an ihren bevorzugten Lagerstellen immer zurückließen. Hier wuchsen Bärlauch, Fenchel und Minze.
»Guter Platz, den Ihr da gefunden habt.« Grey hob sie von ihrem Sitz in luftiger Höhe herunter. »Genau das, was wir brauchen. Habt Ihr Zigeunerblut in Euren Adern, Annique?«
»Mütterlicherseits nicht, da bin ich mir recht sicher.« Sie konnte sein Hemd riechen, die Stärke und das mit Vetiver parfümierte Wasser, mit dem es geplättet worden war. Eine gänzlich französische Sitte und ein ganz und gar nicht britischer Duft. Sie waren so überaus akribisch, diese englischen Spione. »Über meinen Vater kann ich nicht so viel sagen – er starb, als ich vier war – , aber ich glaube, er war Baske. Manchmal unterhielt er sich mit meiner Mutter in einer Sprache, die ich noch nie woanders gehört habe.«
Er berührte sie zwar nicht, doch irgendetwas an ihrem Körper neigte sich vor und begrüßte seinen Körper, als wären die beiden alte Freunde, die sich lange nicht mehr gesehen hatten. Sie mochte es nicht, wenn ihre Körper auf diese Art miteinander plauderten. Sie räusperte sich. »Ihr müsst wissen, dass sie Revolutionäre waren. Damals redete man als Radikaler nicht so viel über die eigene Herkunft und Familie. Das war zu gefährlich.«
»Ich hätte Euch mit diesen blauen Augen eher für eine Keltin gehalten. Vielleicht auch eine
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