Joanna Bourne
gefunden«, berichtete Doyle. »Wir haben ’ne Portion Sahne für Euern Kaffee gekriegt, weil er Euch heut Morgen so gut geschmeckt hat.«
»Gastwirte finden mich immer faszinierend.« Sie stellte den Teller neben sich auf die Decke und nahm erneut vom Kaffee. »Sie sehen nämlich eine große Köchin in mir, was unheimlich anziehend auf sie wirkt. Ihr seid es auch, finde ich. Ein Koch. Dafür, dass dieses Omelett über offenem Feuer gemacht wurde – eine wirklich schwierige Sache –, ist es exzellent. Ich würde es nicht einmal versuchen.«
Den Kaffee erwähnte sie nicht. Er war nicht so gut wie sein Omelett, sondern stark und sehr bitter. Möglicherweise hatten ihn die Ereignisse des Tages mitgenommen, und am Abend würde er ihm besser geraten. Oder vielleicht lag es auch daran, dass er kein Franzose war und deshalb gar nichts von Kaffeezubereitung verstehen konnte.
»Möchtet Ihr so ’n Brötchen wie zum Frühstück?«, fragte Doyle. »Ihr seid doch nicht zu müde zum Essen, oder?«
»Aber nicht doch. Ist doch eine Kleinigkeit, englischen Spionen Kugeln zu entfernen.«
Sie bezweifelte, dass das Kleid, das sie jetzt trug, schicklicher war als das, welches sie ruiniert hatte. Grey hatte ihr erklärt, es wäre grün und würde alles so bedecken, wie es sich gehörte. Doyle sagte, es hätte die Farbe von ganz jungen Eichenblättern und wäre so durch und durch würdig, dass sie wie eine Matrone von vierzig Jahren aussähe. Sie war aber noch nicht so dumm, den Worten dieser beiden Engländer Glauben zu schenken.
Als sie so viel gegessen hatte, wie sie konnte, ließ sie sich an einem Baum nieder, lehnte sich an, tat einen äußerst zufriedenen Seufzer und trank ihren Kaffee Schluck für Schluck. Es tat so gut, einmal keine Wut oder Angst zu spüren. Schon vor vielen Jahren hatte sie es gelernt, diese kleinen Momente des Friedens zu genießen. »Wisst Ihr, Grey, ich mag diesen Ort. Er fühlt sich sehr alt an. Sehr viele meiner Leute sind hier gewesen.«
»Die Zigeuner?«
»Ja, die Roma. Ich sollte sie nicht meine Leute nennen, da ich nicht mehr zu ihnen gehöre. Ich kann nicht zurückgehen. Nie mehr. Für eine Frau wie mich ist dort kein Platz.« Eine Minute lang fühlte sie einen durchdringenden Schmerz, ehe sie den Kopf schüttelte und den Gedanken fallen ließ. »Dieses Lager muss sehr, sehr alt sein. Die Roma müssen seit ewigen Zeiten hierherkommen. Vielleicht Hunderte von Jahren. Dieser herrliche Fluss … Die Roma haben weite Wege auf sich genommen, um hier zu lagern.«
»Ihr habt es genossen.«
Seine Stimmung war eigenartig. Er blieb in ihrer Nähe, konzentrierte sich auf sie. Es war, als ob er auf etwas wartete. Mit dem Essen war er fertig, und nun trank er Rotwein mit einem vielschichtigen, harzigen Geruch. Bisher hatte er ihn ihr noch nicht angeboten.
»Und wie ich es genossen habe. Mich zu waschen … Dies ist das erste Mal seit einem Monat, dass ich mich wieder völlig sauber fühle. Es ist eine der größten Freuden im Leben, wieder sauber zu sein, nachdem man so lange schmutzig war. Ich bin flussabwärts bis zu der Stelle gegangen, wo wenig Strömung und reiner Sandboden ist. Sie gehen dort schwimmen, die Frauen und Kinder, da bin ich mir sicher. Noch weiter unten wird es Felsen geben, auf denen man die Kleidung waschen kann.«
»Ist trotzdem kalt, nehme ich an.«
»Das stört mich nicht. Am liebsten wäre ich gar nicht mehr herausgekommen, doch dann wurde mir klar, dass man sein Leben unmöglich an einer Badestelle im Wald verbringen kann, so angenehm es auch sein mag. Die Seife von Doyle war wundervoll. Was ist da drin? Lavendel?«
»Weiß ich nicht so genau. Er hat sie irgendwo gestohlen.«
»Natürlich. Wie dumm von mir.« Sie nahm noch einen Schluck Kaffee. Schon seltsam, hier so neben Grey zu sitzen und wie Freunde über alltägliche Dinge zu reden. Das hätte sie nicht erwartet.
»Ihr wart gerne bei den Zigeunern?«
»Oh, ja. Vielleicht, weil ich jung war. Keine Ahnung. Die Zeit bei ihnen war die einzige in meinem Leben, in der ich rundum glücklich war. Ich bin immer in Wäldern wie diesem oder Wiesen voller Grillen aufgewacht – wenn Ihr genau hinhört, Grey, könnt Ihr sie sogar von hier aus hören – , und man hatte den lieben langen Tag vor sich, ohne auch nur irgendetwas zu einer bestimmten Zeit erledigen zu müssen. Rein gar nichts. Alles kam so ungeheuer natürlich auf einen zu, das Sammeln von Feuerholz, das Tränken der Pferde und immer wieder die Suche nach Essen in
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