Joanna Bourne
ihn ein – nicht Leblancs Männer, sondern eine Schar Dragoner auf Patrouille. Kein Versteck weit und breit. Er war zu schwach, um wegzulaufen.
Aber es gab noch jemanden, der heute Nacht hier draußen in den Dünen war: Schmuggler. Die Gewehrschüsse hatten sie aufgescheucht. Genau wie er hatten sie allen Grund, die Dragoner zu fürchten. Und sie besaßen ein Boot.
Er zwang seinen Körper, sich in Bewegung zu setzen, und stolperte auf die Wellen zu. Breiiger Sand zerrte an seinen Füßen. In diesem schwarzen Nebel war nichts zu sehen. Gar nichts.
Folge den Geräuschen , sagte er sich. Annique lief schließlich die ganze Zeit so herum. Da würde er doch wohl hundert Meter schaffen.
Das Boot war schon ein Stück weit vom Ufer entfernt, und seine Ruder schlugen in gleichmäßigem Takt. Platschend lief er hinter ihm her. » Attendez. Aidez-moi .« Verdammt kaltes Zeug, dieses Meerwasser.
Mit stampfenden Hufen und unter lautem Rufen kamen die Dragoner über den Dünenkamm. Schüsse peitschten über das Wasser. Er hätte schwimmen lernen sollen. Es konnte doch nicht so schwer sein. Sogar Hunde konnten es.
Wellen rissen ihn um. Seine Kleidung war schwer wie Blei. Als der Boden unter seinen Füßen verschwand, ging er wie ein Stein unter. Von den Armen, die ihn an Bord zogen, bekam er kaum noch etwas mit.
»Is’ keiner von uns, Josiah«, stellte eine englische Stimme fest. Er stach sich an scharfkantigen Ecken, als sie ihn auf den Rücken rollten. Eine Kugel schlug zischend in die Bootswand ein.
»Sieht aus wie ’n Franzmann.«
»Wirf ihn zurück.« Sussex-Stimmen erhoben sich einhellig. Er wurde unsanft hochgezogen und zum Dollbord gestoßen.
»Arschgesichtige, Eiter schlürfende Scheißkerle.« Er drohte wieder in Ohnmacht zu fallen. »Das Passwort lautet … Jasmin.«
»Das is Königsenglisch, isses. Schafft ihn ins Boot, Jungs, ich würd nicht mal ’n Cockney ersaufen lassen.« Der Befehl stammte von einem älteren Mann mit Yorkshire-Akzent. Jemand beugte sich über ihn. »Verstaut ihn und lasst uns hier verschwinden.«
Er wurde auf den Boden des Bootes geschoben, wo er schlaff und unwissend wie ein Fisch liegen blieb.
Vögel flatterten hin und her und stritten laut zwitschernd darüber, ob ihnen der kommende Tag gefiel, und das, noch ehe es richtig hell war. Sie saß neben Henri und hörte ihn knurren und herumzappeln. Er versuchte, ihre Knoten zu lösen … was ihm nicht gelingen würde.
Als ein einzelner Reiter auf dem Hof erschien, nahm sie den Totschläger und ging in Stellung.
Der zweite Fisch, der ihr ins Netz ging, wehrte sich stärker als der erste. Sie war nicht gerade zimperlich mit ihrer Waffe. Dass dieser Mann so bald zurückkam, bedeutete, dass die Jagd auf Adrian abgeschlossen war. Er musste jetzt irgendwo da draußen tot im Wald liegen. Sie weinte, als sie dem Mann die Hände hinter dem Rücken fesselte.
Dann überprüfte sie, ob sie ihm im Kampf den Schädel eingeschlagen hatte. Er war zwar bewusstlos, atmete aber noch. Es war Grey.
Sie hatte nicht oft die Gelegenheit, sich ihres reichen Schatzes an Schimpfworten zu bedienen, aber jetzt war eine gegeben. Passte Grey eigentlich überhaupt auf sich auf? Wusste er etwa nicht, wie gefährlich sie war? Ihm hätte nichts Dümmeres einfallen können, als hier herumzuschleichen, und das auch noch in der Jacke eines Fremden, weshalb sie ihn nicht hatte erkennen können. Na, dem würde sie etwas erzählen, wenn er wieder aufwachte.
Sie ging schnell zur nächsten Pfütze und machte ein Tuch feucht. Als sie zurückkam, stöhnte er bereits. Also hatte er nicht das Zeitliche gesegnet, was zweifellos seinem eisenharten, hohlen Schädel zuzuschreiben war. Sie rieb ihm mit dem Tuch das ganze Gesicht ab, damit er vollständig zu sich kam, und als Dank für die vielen nassen Tücher, mit denen er sie drangsaliert hatte.
»Annique? Mein Gott. Hast du etwa die Falle aufgestellt?«
»Aber natürlich. Ich muss dir etwas erzählen, mein Freund. Vor über zwei Stunden kamen Reiter ins Kloster. Leblancs Männer. Adrian hat sie alle weggelockt, außer Henri, der dort drüben liegt.« Sie wies ungefähr in Henris Richtung. Der wand sich hörbar um den Pfosten, an den sie ihn gefesselt hatte. »Adrian ist nicht zurückgekommen. Es gab Schüsse … Er ist doch so schwach. Und sie waren mindestens zu dritt.«
»Das schafft er schon. Er ist der hinterlistigste Mensch, den ich kenne. Die Männer, die uns jagen, sind im Wald nur unbeholfene Trottel.
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