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Jodeln und Juwelen

Jodeln und Juwelen

Titel: Jodeln und Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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Würde sie allein mit den Dienstboten den Rest des Sommers auf
der Insel ausharren? Adelaide Sabine würde bestimmt nicht den ganzen Betrieb
nur für sie aufrechterhalten. Oder Adelaide würde das Haus sogar zum Kauf
anbieten, um ihren Nachkommen die Erbschaftssteuer zu ersparen, und Emma hatte
die dankbare Aufgabe, sich um die potenziellen Käufer zu kümmern. Das wäre
vielleicht sogar die vernünftigste Lösung.
    Doch soweit kam es sicher nicht. Marcia
würde es zu verhindern wissen. Der Verkauf von Pocapuk bedeutete schließlich,
dass man mit Adelaides baldigem Ableben rechnete. Als einzige Tochter hatte
Marcia ein besonders enges Verhältnis zu ihrer Mutter, sie würde Adelaide
sicher erst dann aufgeben, wenn absolut keine Hoffnung mehr bestand. Deshalb
hatte Marcia auch dieses verrückte Arrangement zugelassen und einem Haufen wildfremder
Zeitgenossen den Sommer auf der Insel ermöglicht.
    Die Gäste nahmen ihre
Freiheitsberaubung übrigens ausgesprochen gelassen hin. Black John Sendick las
einen Krimi, Joris Groot machte Skizzen von seinen Füßen oder vielmehr seinen
riesigen weiß und hellblau gestreiften Turnschuhen. Alding Fath strickte an
einem undefinierbaren Kleidungsstück aus brauner Zottelwolle und musste ständig
niesen, weil ihr Flusen in die Nase kamen. Lisbet Quainley und Everard Wont
saßen einträchtig nebeneinander auf der Hängematte am anderen Ende der Veranda.
Die junge Frau hatte ihren gelben Block auf den Knien. Anscheinend diktierte
Wont wieder, auch wenn nicht viel niedergeschrieben wurde, soweit Emma sehen
konnte.
    Graf Radunov dagegen kritzelte wie ein
Besessener und blickte immer wieder zu Theonia hoch, als suche er nach neuen
Inspirationen. Vielleicht war sie sein Modell für Königin Victoria, auch wenn
Emma dies nicht ganz nachvollziehen konnte. Man konnte sich Theonia eher als
Zarin vorstellen, doch auch mit Alexandra hatte sie keinerlei Ähnlichkeit.
Theonia trug den blauen Rock und die Bluse, die sie gestern von Emma
ausgeliehen hatte, was überaus rücksichtsvoll von ihr war. Emma wusste nämlich
immer noch nicht, wer für die Wäsche zuständig war. Vielleicht löste sich das
Problem auch ganz von selbst, weil sie Pocapuk bereits in Kürze mit den anderen
verlassen würde.
    Diese Aussicht erschien ihr im Moment
recht verlockend, auch wenn die Insel wirklich wunderschön war. Wenn man sich
seine Gäste selbst auswählen dürfte, könnte man auf Pocapuk bestimmt sehr
glücklich sein, dachte Emma wehmütig. Aber wen aus dieser Gruppe hätte sie sich
ausgesucht? Wohl niemanden, schließlich hätte sie von der Existenz dieser
Personen gar nichts gewusst. Aber vielleicht war es ja besser, den vertrauten
Umkreis zu verlassen und offen für neue Bekanntschaften, Erfahrungen und Ideen
zu sein. Möglicherweise war Adelaides Methode trotz aller Risiken genau
richtig. Vielleicht hatte Emma nie genug riskiert, war immer zu vorsichtig
gewesen und nie beherzt ins Leere gesprungen.
    Nun ja, sie konnte es immer noch mit
Drachenfliegen und Fallschirmspringen probieren. Radunov schien ihre Gedanken
zu erraten, obwohl dies eigentlich unmöglich war, er schaute sie jedenfalls an
und lächelte. Emma lächelte zurück, doch dann bemerkte sie, wie zerzaust die
arme Clematis draußen aussah, und verfiel wieder in Trübsinn.
    Es war genau eine Minute vor zwölf, als
Bruder Lowell mit zwei Passagieren an Bord eintraf. Beide trugen gepflegte
khakibraune Uniformen, wie Emma unendlich erleichtert feststellte. Vincent,
Neil, Sandy und Bernice eilten ihnen bereits entgegen, um sie zu begrüßen. Ted
Sharpless blieb hinter ihnen zurück. Wenn er nur wüsste wohin, würde er
bestimmt weglaufen, dachte Emma. Bubbles war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich
war er noch in der Küche und stellte das Picknick-Lunch zusammen, das er ihnen
bald aushändigen würde, es sei denn, die ganze Gruppe wurde von den Männern des
Sheriffs verhaftet und abgeführt.
    »Charlotte sah, wie fortgetragen ward
der Tote, und schmierte emsig weiter ihre Brote«, murmelte Emma, vorwiegend zu
sich selbst. War sie die einzige, die heute noch Thackerey zitierte? Nein,
Radunov lächelte viel sagend.
    Wieder lächelte sie zurück, wenn auch
ein wenig nervös. Sie fühlte sich allmählich wie ein Wasserkessel kurz vor dem
Sieden. Lieber Gott, betete sie im Stillen, mach, dass endlich Schluss ist.
Mehr konnte sie beim besten Willen nicht ertragen.
    Meine Güte, war sie albern. Was für ein
theatralischer Quatsch! Sie würde selbstverständlich

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