Jodeln und Juwelen
langem
perfekt eingespielten Haushalt ausgerechnet in der wahrscheinlich letzten
Saison durch irgendwelche Änderungen zu verwirren. Sie verspürte einen Anflug
von Melancholie beim Gedanken, dass bald alles vorbei sein würde.
Doch als sie im Inneren des Hauses war,
änderte sie ihre Meinung. Alles in dem riesigen Wohnzimmer war makellos sauber
und aufgeräumt, alles war gemütlich und geräumig, alles stimmte genau und
erfüllte perfekt seinen Zweck. Jemand mit einem hervorragenden Sinn für
effektvolle Gestaltung hatte große Krüge mit Schnittblumen platziert. Oder
jemand, der genau wusste, wo ähnliche Arrangements immer schon gestanden
hatten. Aber alles war alt, nicht im Sinne von antik oder schäbig, sondern müde
und erschöpft, genau wie die Eigentümerin. Kein Wunder, dass Adelaide nicht
bedauerte, diesmal nicht hier sein zu können. Sie hatte sicher schon viel zu
viele ewig gleiche Sommer hier verbracht. Wäre es ihr Haus, hätte Emma
möglicherweise kurzentschlossen den ganzen Kasten abreißen lassen und noch
einmal von vorn angefangen.
Doch da kam ein junges Mädchen, das
nach Emmas Schätzung kaum älter als vierzehn sein konnte, mit einer sich
pellenden Nase und einer Frisur, die anscheinend von Medusa inspiriert worden
war. Sie trug ein knallgelbes Sweatshirt mit einem großen Schlumpf auf der
Brust, dazu die unvermeidlichen Blue Jeans und schenkte ihr das strahlendste
Lächeln, das man sich überhaupt vorstellen konnte.
»Hi, Mrs. Kelling. Ich bin Sandy. Wenn
Sie mit raufkommen, zeige ich Ihnen Ihr Zimmer. Es wird Ihnen bestimmt super
gefallen! Sind Sie zum ersten Mal auf der Insel? Kann ich Ihnen ‘ne Tasse Tee
oder sowas holen? Soll ich Ihnen beim Auspacken helfen?«
Emma sagte, sie sei vor vielen Jahren
schon einmal hier gewesen. Ja, sie würde sich über eine Tasse Tee freuen, und
ja, es wäre sehr nett, wenn Sandy ihr beim Auspacken helfen würde, nicht weil
sie es allein nicht geschafft hätte, sondern weil Sandy offenbar darauf
brannte, ihr zu helfen. Emma überließ Sandy die alte Reisetasche und folgte ihr
die Treppe hinauf.
Kapitel
5
Es fiel Emma nicht schwer, Sandys
Enthusiasmus für das ihr zugedachte Zimmer zu teilen. Es hatte genau die
richtige Größe, weder riesig wie eine Scheune noch eng wie ein Hühnerstall, und
strahlte mit seinen weißen Wänden, grünen Weidenstühlen und verblichenem Chintz
einen ganz besonderen Charme aus. Natürlich gab es bei den Sabines keine farbig
gestrichenen Dielen und bunten Flickenteppiche. Einige in die Jahre gekommene
verblasste Kirmanteppiche genügten, um dem Parkett die Kälte zu nehmen. Sandy
öffnete die großen Fenster und ließ den Geruch des Meeres ins Zimmer. Die
altmodischen lackierten Fliegengitter ließen die Aussicht ein wenig
verschwommen erscheinen, doch der Blick war immer noch atemberaubend.
Ihr Fenster ging auf die Inselseite mit
dem Weg hinaus, den sie eben erst hochgekommen war, und man sah das Dock und
ein riesiges Stück Atlantik. Jetzt lag nichts mehr zwischen ihr und Spanien.
Oder war es Frankreich? Ganz egal, welches Land es war, allein der Gedanke war
schon überaus angenehm. Trotzdem ging Emma zum Fenster und schloss es bis auf
einen schmalen Spalt. Die Luft fühlte sich ein wenig klamm an, wie dies auf
kleinen Inseln oft der Fall ist. Zu ihrer großen Erleichterung entdeckte sie
eine Heizung, die aussah, als funktioniere sie einwandfrei, und die strategisch
günstig links neben einem gemütlichen Schaukelstuhl mit dicken Kissen
angebracht war. Daneben stand ein praktischer Lampentisch in genau der
richtigen Größe.
Das Zimmer war ein angenehmes Refugium,
in das man sich zurückziehen konnte, wenn man von der langweiligen Perfektion
des Erdgeschosses genug hatte, dachte sie. Sie musste sich unbedingt ein paar
Bücher hochholen. Emma überlegte gerade, ob man die Möbel ein wenig effizienter
platzieren sollte, als Sandy auch schon mit einem liebevoll mit Köstlichkeiten
beladenen Teetablett erschien.
»Ah, das ist gut«, sagte sie. »Das ging
aber schnell, Liebes.« Es bestand nicht der geringste Grund, dieses fröhliche
Wesen wie eine Dienstbotin zu behandeln, daher beschloss Emma, Sandy einfach
als eine temporäre Enkelin anzusehen.
»Bubbles — das ist unser Koch — hatte
alles schon vorbereitet, Mrs. Kelling. Er hat sofort den Wasserkessel
aufgesetzt, als er die Schiffssirene gehört hat. Die Sandwiches sind mit Lachs
belegt. Bubbles hat ihn gestern frisch gefangen. Dazu Gurke und ein
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