Jodeln und Juwelen
irgendein
Hummergericht. Gäste, die gerade an einem Ort wie diesem eingetroffen waren,
erwarteten am ersten Abend immer Hummer. Sicher war er nicht einfach nur
gekocht, das passte eher zu einem Picknick am Strand, allerdings musste der
Abend dafür ein wenig wärmer sein.
Hummer Thermidor vielleicht oder eine
Hummercremesuppe, gefolgt von einem einfachen, aber guten Gericht wie Hühnchen
Cordon bleu und frischem Spargel. Letzteres wäre Emmas Wahl gewesen, auch wenn
sie nach Bubbles köstlichem Tee kaum noch Hunger verspürte. Doch bekannterweise
wirkt Meerluft appetitanregend. Sie sann noch eine Weile über ihre Taille nach,
entschied, dass sie zu alt war, um sich über derartige Dinge den Kopf zu
zerbrechen, wärmte ihre Füße mit einer lila Mohairdecke, lag da und fragte
sich, wie der Sommer auf der Insel wohl aussehen würde.
Es war noch zu früh, sich ein Bild von
Adelaides Gästen zu machen. Oder vielmehr Emmas Gästen. Was hatte Adelaide nur
veranlasst, dem prätentiösen Schreiberling Wont die Auswahl der übrigen Gäste
zu überlassen? Offenbar hatte sie sein letztes Buch nicht gelesen.
Man sollte Adelaide zumindest anrufen
und ihr mitteilen, dass alle Sommergäste sicher eingetroffen waren, dachte
Emma. Das erledigte sie am besten, wenn sie zum Dinner nach unten ging. Hier in
ihrem Zimmer sah sie kein Telefon, doch das hatte sie auch nicht erwartet.
Vielleicht gab es irgendwo im Haus eine Art Funkgerät, so ähnlich wie das Ding,
das sie und Bed damals auf dem Boot gehabt hatten. Vincent würde es ihr sicher
zeigen. Vielleicht hatte er seine Arbeitgeberin auch bereits selbst angerufen.
Es würde Emma nicht sonderlich überraschen.
Hoffentlich hatten die Gäste ihm nicht
zu viele Umstände gemacht. Wont war bestimmt eine erstklassige Nervensäge, doch
Vincent war mit den Vertretern dieser Gattung sicher hinreichend vertraut. Das
eigentliche Problem war Mrs. Fath.
Emma wusste natürlich genau, wie diese
so genannten Medien arbeiteten. Sie hatten Komplizen, die alle möglichen
unwichtigen Informationen über einen zusammentrugen, die Frau Hellseherin dann
im geeigneten Moment höchst effektvoll zur Verblüffung ihrer Zuhörer
einflechten konnte. Mrs. Fath hatte sicher im Rahmen ihrer Reisevorbereitung
jemanden auf Adelaide Sabine angesetzt. Der Spion war Adelaide zum
Wohltätigkeitsfest der Feuerwehr gefolgt und hatte im Zelt das Gespräch
zwischen ihr und Emma belauscht. Bei den vielen Menschen dürfte das nicht
sonderlich schwierig gewesen sein. Und nachdem Emma sich bereit erklärt hatte,
für Adelaide einzuspringen, war natürlich sie das Objekt der Recherchen
geworden.
Vielleicht hatte Mrs. Fath auch Emmas
Tasche auf der Fähre gestohlen, in der Hoffnung darin ein wenig neue Nahrung
für ihre übersinnlichen Kräfte zu finden. Die Tatsache, dass sie von Beds Foto
wusste, erklärte sich möglicherweise daraus, dass sie heimlich einen Blick in
Emmas Tasche geworfen hatte. Dazu hätte sie ganz schön dreist sein müssen, doch
waren Medien nicht bekanntermaßen Spezialisten für Taschenspielertricks und
Gaukeleien? Manche konnten sogar mit der Nase Trompete spielen und mit
Kleiderbügelhaken, die sie im Ärmel versteckt hatten, auf Schiefertafeln
schreiben und dergleichen.
Mrs. Fath sah zwar nicht aus, als liefe
sie mit einem Drahthaken im Ärmel herum, doch war geschickte Tarnung nicht ein
j wichtiger Teil der Täuschung? Um Emma Kelling wirklich zu überzeugen, musste
Alding Fath mehr vorweisen als ein Jeanskostüm, einen albernen Baumwollhut und
ein paar Orakelsätze.
Eigentlich schade. Gespräche mit
interessanten Männern mochten noch so unterhaltsam sein, die besten
Ansprechpartner waren und blieben doch Frauen. Bei Lisbeth Quainley hatte Emma
leider noch nichts potenziell Sympathisches entdecken können. Mrs. Fath dagegen
schien jemand zu sein, mit dem sie zwar wenig gemeinsam hatte, aber sicher
gemütlich bei einer Kanne Tee1 sitzen und über Gott und die Welt plaudern
konnte. Falls man sich überhaupt in der Gegenwart eines Menschen entspannen
konnte, der sich jede klitzekleine Kleinigkeit merkte, um sie irgendwann im
richtigen Moment wieder hervorzubringen.
Wenn man ein gewissenloser Schurke wie
Jem Kelling und seine Kumpane war, konnte man die selbst ernannte Sibylle aus
Spaß mit unerhörten Falschinformationen versorgen und gespannt abwarten, wann
diese wieder auftauchten. Emma versuchte, sich ein paar phantastische Lügen
auszudenken, doch sie war noch nie gut im Flunkern gewesen.
Weitere Kostenlose Bücher