Joe Kurtz 01 - Eiskalt erwischt
erhoffte.
Dann setzte sich der Fluss doch durch. Malcolm wurde weggespült und von der unsichtbaren Hand Gottes dahingerafft. Er erreichte die bläulich-weiße Kante und war einen Moment später darüber hinweggeschossen. Augenblicklich verschwand er in der Tiefe, als hätten die Fälle ihn verschluckt. Das letzte Bild, das Kurtz von Malcolm im Gedächtnis blieb, war sein verzweifelter Versuch, in der Luft zu schwimmen, wobei er irre grinste und der Diamantstecker in seinem Schneidezahn durch das bläulich-weiße Glimmen blitzte.
Dann war da niemand mehr.
Kurtz befreite seine fast abgestorbenen Handgelenke vom Rest der Leine und schleuderte das nutzlos gewordene Seil in den Fluss. Er stand noch eine Sekunde lang da und lauschte dem Aufbranden des Wassers in der Schwärze der Nacht.
»Klarer Fall von zu langer Leitung«, sagte er leise und wandte sich zum Gehen.
KAPITEL 35
Arlene wachte zur üblichen Zeit auf – kurz bevor die graue Buffalo-Nacht der grauen Buffalo-Dämmerung wich – und hatte sich bereits die Hälfte der Tageszeitung und ihres Guten-Morgen-Kaffees zu Gemüte geführt, als sie aus dem Küchenfenster schaute und überrascht feststellte, dass ihr Buick in der Einfahrt stand.
Sie ging im Morgenmantel nach draußen. Der Wagen war abgeschlossen und die Schlüssel lagen im Briefkasten. Keine Spur von Joe.
Als sie später den Wagen vor dem Pornoshop geparkt und sich durch den Hintereingang in ihr Kellerbüro eingelassen hatte, fiel ihr sofort der weiße Umschlag auf ihrem penibel aufgeräumten Schreibtisch auf. 3000 Dollar in bar. Ihr Gehalt für November.
Joe kam gegen Mittag ebenfalls durch den Hinterhof herein. Er war beim Friseur gewesen, sauber rasiert und duftete angenehm nach Aftershave. Er trug einen grauen, modisch geschnittenen Perry-Ellis-Anzug, ein weißes Hemd, eine etwas spießige Krawatte mit grün-goldenem Muster und weiche, auf Hochglanz polierte braune Lederschuhe. Arlene wusste, dass Joe schon immer eine Schwäche für die Prince-Charles-Kombination aus grauem Anzug und braunen Schuhen besessen hatte.
»Ist jemand gestorben und hat dir sein Geld vererbt?«
Kurtz lächelte. »Könnte man so sagen.«
»Wie bist du heute Morgen von meiner Wohnung aus zurück in die Stadt gekommen?«
»Es gibt da eine ausgesprochen nützliche Erfindung namens Taxi«, sagte Kurtz.
»In Cheektowaga sieht man die aber selten«, entgegnete Arlene. »Das ist eher eine Gegend, in der man mit dem Bus fährt.«
»Es gibt vieles, was man in Cheektowaga nicht so häufig sieht, aber jetzt bin ich gerade ins Büro gefahren.«
Arlene hob eine sauber gezupfte Augenbraue: »Gefahren? Du besitzt jetzt ein eigenes Auto?«
»Nur eine Schrottmühle«, sagte Kurtz. »Einen 88er Volvo Kombi von dem Halsabschneider draußen in Amherst, aber er bewegt sich immerhin vom Fleck.«
Arlene konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Ich habe nie begriffen, warum es bei dir immer ein Volvo sein muss.«
»Die sind sicher«, erklärte Kurtz.
»Im Gegensatz zu allem anderen in deinem Leben.«
Er zog eine Grimasse. »Sie sind langweilig. Und allgegenwärtig. Niemand achtet auf einen Volvo, der hinter einem herfährt. Die sind wie Chinesen – sehen alle gleich aus.«
Dazu fiel Arlene nichts mehr ein. Sie schwieg, während Kurtz sorgsam das Sakko und die Hose auszog, beides auf Bügel an die Garderobe hängte und sich dann auf das zerschlissene Sofa an der Wand legte.
»Weck mich doch bitte gegen drei Uhr. Ich habe einen wichtigen Geschäftstermin um vier.« Er faltete die Hände auf der Brust und fing nach nicht einmal einer Minute an, sanft zu schnarchen.
Arlene bemühte sich, beim Tippen und beim Öffnen und Schließen der Schubladen leise zu sein, um Joe nicht aufzuwecken, und er schlief friedlich durch. Sie wusste, dass sie ihn nicht zu wecken brauchte – er wachte immer genau zur richtigen Zeit auf. Tatsächlich schlug er um kurz vor drei die Augen auf und sah sich auf diese wache und konzentrierte Art um, die sie immer wieder aufs Neue überraschte und verblüffte.
Er zog sich eilig an, richtete sein Jackett, knöpfte den oberen Knopf seines Hemds zu und vergewisserte sich, dass die Krawatte perfekt gebunden war und die Manschetten richtig saßen.
»Du brauchst noch einen echten Schlapphut«, neckte Arlene ihn, als sich Joe mit den Wagenschlüsseln in der Hand auf die Hintertür zubewegte. Sie fragte nicht, was das für ein Termin war, und er gab ihr auch keine Erklärung. Arlene wusste aus Erfahrung, dass es
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