Joe Kurtz 01 - Eiskalt erwischt
sich ebenso gut um eine triviale Unterredung mit seinem Sachbearbeiter in der Bank oder eine gefährliche Unterredung mit einem Mafiosi handeln konnte – eine, von der Joe möglicherweise nicht mehr zurückkehrte. Sie fragte nie danach. Und er sagte ihr fast nie etwas.
Arlene schrieb noch einige E-Mails an Kunden und überlegte, ob sie Joe verraten sollte, dass sie vermutlich schon am Ende des ersten Monats einen Gewinn von acht- bis zehntausend Dollar mit ihrer Suche nach verflossenen Sweethearts erwirtschaften würden. Sie beschloss, mit der Überraschung noch ein wenig zu warten.
Es war beinahe 17:00 Uhr, als sie mit den Internetrecherchen und Benachrichtigungen für heute fertig war. Sie wollte gerade Feierabend machen, als eine ungewöhnliche Bewegung auf dem kleinen Überwachungsmonitor ihre Aufmerksamkeit erregte.
Ein Monster in Menschengestalt war durch den Eingang des Pornoschuppens getreten. Das Gesicht des Mannes schien auf der einen Hälfte völlig verbrannt zu sein. Ein zugeschwollenes Auge, das Gewebe rundherum entzündet, ein paar verwaiste weiße Haarstoppeln auf dem aufgeplatzten und zerkochten Schädel. Der Mann trug einen offenen Regenmantel und sogar auf dem Schwarz-Weiß-Bild des Monitors konnte Arlene erkennen, dass notdürftig angelegte Verbände und offene Brandwunden seine Brust bedeckten.
Tommy bückte sich an der Kasse eilig nach der Schrotflinte, die er für ungebetene Gäste unter dem Tresen aufbewahrte.
Das Monster packte Tommy an seinem Pferdeschwanz, riss ihm den Kopf nach hinten und schlitzte ihm mit einem bösartigen Schlenker seines Arms die Kehle von einem Ohr zum anderen auf.
Es waren nur zwei Kunden im Laden. Einer rannte zur Tür und versuchte, sich an dem Riesen vorbeizuquetschen, aber der fuhr herum und zerfetzte den Körper mit einem einzigen, ansatzlosen Schnitt vom Schritt bis zum Hals. Der Mann brach im Eingangsbereich zusammen und rutschte an einer Glastheke herunter.
Der andere Besucher des Ladens presste hastig seine Pornomagazine gegen die Brust und stolperte zwischen die Regalreihen, um sich zu verstecken. Das Monster folgte ihm mit drei gewaltigen Sprüngen. Die Kamera erfasste nur den Spiegel in der Ecke, in dem man wie in einem klassischen Splatterstreifen beobachten konnte, wie die Messerhand des Monsters nach unten fuhr – drei-, vier-, fünfmal.
Arlene blieb die Luft weg. Wie in Trance nahm sie den Telefonhörer ab und wählte die Nummer der Notrufzentrale. Eine Stimme meldete sich, aber Arlene konnte nicht sprechen. Sie konnte ihren Blick nicht von der Kameraübertragung losreißen.
Das Monster rannte mit offenem Regenmantel und Verbänden, die wie bei einer Mumie hinter ihr herwehten, den kurzen Gang hinunter auf die Kellertür zu, das verbrannte Gesicht zu einer wilden Maske verzerrt. Es kam ... direkt zu ihr.
KAPITEL 36
Don Farino trommelte alle im Herrenzimmer des Anwesens zusammen. Kurtz war noch nie in einem Herrenzimmer gewesen, hatte aber oft genug darüber geschmunzelt, wenn er in einem Roman über diese Bezeichnung stolperte. Deshalb war er neugierig, was sich dahinter verbarg. Jetzt, wo er in einem solchen Herrenzimmer saß, wusste er es immer noch nicht so genau. Der Raum war riesig und dunkel; schwere, vorgezogene Vorhänge verhüllten Nischen mit Panoramafenstern, weshalb man kaum einschätzen konnte, ob es draußen gerade taghell oder stockfinster war.
Es gab mehrere Bücherregale, zwei massive Kamine, in denen keine Feuer brannten, und eine Menge Sitzgelegenheiten, die sich wie in der Lobby eines Hotels überall verteilten. Es befanden sich sechs Personen im Raum, wenn man die beiden Leibwächter in ihren Uniformjacken mitzählte: Don Farino in seinem Rollstuhl neben der Lampe mit dem schwarzen Schirm; Sophia, die in einem üppigen Polstersessel rechts vom Don Platz genommen hatte; Kurtz auf einem dick gepolsterten und trotzdem unbequemen Ledersofa; schließlich noch der Anwalt, Leonard Miles, der allen gegenüber auf einem Stuhl hockte. Die beiden Bodyguards standen direkt hinter dem Rechtsverdreher, ihre fleischigen Hände hielten sie über dem Schritt gefaltet.
Kurtz war in der Einfahrt abgefangen und angewiesen worden, seinen Volvo außerhalb des Grundstücks abzustellen. Er überlegte, ob sie wohl Angst vor Autobomben hatten. Die beiden Bodyguards durchsuchten ihn sehr gründlich – er hatte die Heckler & Koch unter dem Sitz im Wagen gelassen – und fuhren ihn mit einem Golfwagen zur Villa hinauf. Es war ein kalter, trüber
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