Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
auf und reichte ihm drei eng bedruckte Blätter mit Namen und Dollarbeträgen. »Wir können damit nichts anfangen«, erklärte sie. »Wenn ich diese Aufstellung den Behörden zuspiele, lassen mich die großen fünf Familien noch in dieser Woche umbringen. Und falls Sie die Daten weitergeben, würden sie denselben Tag nicht mehr überleben.«
»Diese Dummheit werden wir uns auch beide ersparen«, erwiderte Kurtz. Dann erklärte er ihr seinen Schlachtplan.
»Allmächtiger«, flüsterte Angelina. »Was brauchen Sie für heute Abend?«
»Ein Transportmittel. Und können Sie mir zwei Funkgeräte organisieren? Diese Miniaturversionen mit den Ohrstöpseln? Sie sind nicht unbedingt notwendig, könnten sich aber als überaus nützlich erweisen.«
»Sicher«, bestätigte Angelina. »Aber die Dinger haben nur eine Reichweite von einem, maximal zwei Kilometern.«
»Das reicht völlig.«
»Noch was?«
»Die Handschellen, mit denen Sie Marco ans Waschbecken gefesselt haben.«
»Was noch?«
»Marco. Ich rechne damit, dass es einiges zu schleppen gibt.«
»Werden Sie ihn bewaffnen?«
Kurtz schüttelte den Kopf. »Er kann ein Messer mitnehmen, wenn er will. Ich verlange nicht von ihm, dass er sich an einer Schießerei beteiligt, deshalb braucht er auch keine Kanone. Da draußen in der Dunkelheit werden so oder so genügend Waffen lauern.«
»Was noch?«
»Thermounterwäsche«, sagte Kurtz. »Lange Unterhosen, wenn Sie welche haben.«
»Sie machen Witze.«
Kurtz schüttelte den Kopf. »Die Sache könnte eine ganze Weile dauern und in dem alten Gemäuer ist es kalt wie in einem sibirischen Puff.«
Er gesellte sich zu John Wellington Frears in die Bibliothek. Der Violinist saß in einem Ledersessel, das geöffnete Kästchen neben sich auf der Lehne. Die Fotos von toten Kindern reflektierten das sanfte Licht der Halogenspots an der Decke. Kurtz nahm an, dass Frears’ Tochter Crystal eine der fotografierten Leichen war, aber er wollte nicht danach fragen.
»Kann ich einen Moment mit Ihnen reden?«, fragte Kurtz.
Frears nickte. Kurtz setzte sich ihm gegenüber in einen zweiten Ledersessel.
»Wir müssen uns darauf einigen, was mit Hansen passieren soll«, sagte Kurtz. »Aber zuerst hätte ich eine persönliche Frage.«
»Fragen Sie, Mr. Kurtz.«
»Ich habe ein bisschen in Ihrem Leben herumgeschnüffelt. Arlene hat Informationen aus dem Netz gefischt, die normalerweise streng vertraulich sind.«
»Ah«, entgegnete Frears, »der Krebs. Sie wollen etwas über meine Krebserkrankung wissen.«
»Nein. Ich bin neugierig wegen der beiden Einsätze in Vietnam, damals 1968.«
Frears blinzelte, dann lächelte er. »Warum um alles in der Welt interessiert Sie das, Mr. Kurtz? Es war Krieg. Ich war ein junger Mann. Hunderttausende junger Männer dienten in Vietnam.«
»Hunderttausende wurden eingezogen. Sie aber haben sich freiwillig gemeldet, wurden als Pionier ausgebildet und spezialisierten sich dort drüben auf die Entschärfung von Sprengfallen. Warum um alles in der Welt?«
Frears Mundwinkel waren immer noch amüsiert hochgezogen. »Warum ich mich auf diesen Bereich spezialisiert habe?«
»Nein. Warum Sie sich überhaupt freiwillig gemeldet haben. Sie studierten zu der Zeit bereits einige Jahre in Princeton, besaßen einen hervorragenden Abschluss von der Juilliard. Aufgrund der hohen Nummer bei der Einziehungslotterie wären Sie nie und nimmer an der Front gelandet. Stattdessen melden Sie sich freiwillig und setzen Ihr weiteres Leben aufs Spiel.«
»Und meine Hände«, erklärte Frears und hielt sie in den Lichtkegel des Halogenspots. »Sie waren für mich damals wichtiger als mein Leben.«
»Warum haben Sie es getan?«
Frears kratzte seinen pedantisch rasierten Kräuselbart. »Wenn ich versuche, Ihnen das zu erklären, Mr. Kurtz, riskiere ich, Sie gründlich zu langweilen.«
»Nur zu, ich muss noch ein bisschen Zeit totschlagen.«
»Also gut. Ich bin nach Princeton gegangen, um Philosophie und Ethik zu studieren. Einer meiner Dozenten dort war Dr. Frederick.«
»Pruno.«
Frears verzog das Gesicht, als hätte man ihn geschlagen. »Ja. In meinem ersten Jahr in Princeton betrieb Dr. Frederick ein gemeinsames Forschungsprojekt mit einem Harvardprofessor namens Lawrence Kohlberg. Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Nein.«
»Nun, das geht den meisten Menschen so. Die beiden wollten Kohlbergs Hypothese auf den Prüfstand stellen, wonach sämtliche Menschen bestimmte Stadien der moralischen Entwicklung durchlaufen,
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